Tepescahuite | Prosa 4


Das Flackern der Kerze, die als einzige Lichtquelle vor mir im dunklen Raum steht, verschwimmt langsam, verschmilzt mit dem Licht, das aus einer anderen Welt zu kommen scheint und die Realität hinter der Dunkelheit aufzubrechen versucht.
Ein Strahlen aus Farben und Formen, Waben, Struktur, Fraktal, Regenbogen, Metall, Spiegelformen und raues Laub.
Ich merke, dass meine Augen längst geschlossen sind. Das Licht der Kerze existiert nur noch in meinem Kopf.
Die ganze Welt scheint nach rechts zu kippen, als würde sich die Realität umdrehen wollen. Wie eine Münze, die auf der Kante balanciert, angezogen von einem mächtigen Magneten, der am anderen Ende der Welt aktiviert wird. Ein schwarzes Loch am Rande des Universums.
Ich stehe in einem dunklen Raum und in meinem Sichtfeld glänzen Ebenen aus Spiegeln, multiplizieren die Realität.
Ganz entfernt, ganz hinten, in der letzten Ecke meiner gewohnten Wahrnehmung, da spüre ich den Sog, den ich schon kenne, von meinem alten Freund, dem Myzel, das die ganze Welt durchnetzt: Müdigkeit und Schwere zwingen mich in den Schlaf der Wachheit. Lass mich träumen, während ich wache, lass mich reisen, während ich schlafe.
Dann etwas Neues: Vibration, dumpf und dunkel, kurzwellig, anschwellend, sie erfasst alles von mir, meinen Körper, meine Wahrnehmung, mein Ego, versucht die Realität zu zerrütten, mich zu zersplittern.
Im dunklen Raum, in dem ich stehe, ist alles gut. Ich sehe das Kind in mir, wie es vor einem großen, grünen, federartigen, metallisch glänzenden Blatt steht. Es streicht über die kleinen Federn, aus dem sich das Blatt zusammensetzt und dieses zuckt zusammen, rollt sich ein, faltet sich zusammen.
Du bist eine Mimose, raunt jemand mit dunkler Stimme.
Ich kenne diesen Raum. Er ist mein Kinderzimmer. Und ich kenne diese Stimme.
Das Kind weint, versteht nicht, warum es so viel fühlen muss, will sich einrollen, genau wie das Blatt der Mimose. Versteht nicht, warum es schlecht sein soll, wie dieses wundervolle, empfindsame Wesen zu sein.
Der Raum explodiert in Licht, Farben, Glanz. Ein Meer aus Spiegeln multipliziert sich mit sich selbst, reicht bis in die Ewigkeit und verschluckt sich wieder selbst.
Ich weiß, ich stehe auf einer Schwelle, am Rande einer Singularität, im Maschinenraum einer Teleportationsapparatur, auf der Kreisbahn eines Elektrons, vor einem Spiegel aus flüssigen Fraktalen. Irgendwo dort, zwischen all diesen Bildern, Symbolen, Realitäten lebt er: Tepescahuite, der Metallbaum, verdrahtet die Welten miteinander.
Aus einem Ozean aus Licht und Spiegelformen tauchen seine in allen Regenbogenfarben erstrahlenden Blätter hervor, empfindlich, sensibel, empfindsam.
Mein Körper vibriert weiter, höher, schneller, bald bin fort.
Und der Geist des Metallbaums sagt:
Du bist nicht bereit.
Dankbarkeit und Dunkelheit.
Stille und Erlösung.
Die Stimme aus der Dunkelheit erlöst das Kind in mir, das zu viel spürt und nicht mehr fühlen will. Dankbarkeit ergreift meine innere Stille.
Ich bin zurück.
Ich komme wieder.


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4 Gedanken zu “Tepescahuite | Prosa

  • Woodland Druid

    Der Text ist großartig. ich liebe die Wortwahl an so vielen Stellen.
    Leider befürchte ich ihn nicht richtig verstanden zu haben. Es bereitet mir Kopfzerbrechen warum der „Metallbaum“ Tepescahuite – selbst zur Gatung der Mimosen gehörend – mit dunkler Stimme raunt „Du bist eine Mimose“. Und für was bist du nicht bereit?

    Offtopic, aber ich kann den Impuls nicht kontrollieren das hier rein-zuschreiben:
    Ich bin mir sicher der Max wird nachdem er den Text gelesen hat den Woodland Druid zitieren: „Was ist ein Baum“ :-)

    • Alex Autor des Beitrags

      Vielen Dank, freut mich, wenn der Text gefällt :)

      Die Fragen kann ich leider nicht beantworten, alle Informationen befinden sich im Text und der Rest ist freie Interpretationssache ;)

      Die letzte Frage („für was bist du nicht bereit“) würde ich wie folgt interpretieren: Das Lyrische Ich ist nicht bereit vom Metallbaum in eine Paralleldimension abgeholt zu werden.

      Danke fürs Lesen und Kopfzerbrechen :)

  • Angelo C. Silenzio

    Ich kann mich meinem Vorredner nur anschliessen: ein ganz grossartiger Text. Eine überaus gekonnt eigensetzte Bildhaftigkeit, die Emotionalität und Naturwissenschaft miteinander versöhnt. Nicht selten führen mich meine Gedanken auch zurück in die Kindheit und ich erblicke mich zuweilen dann als verletzliche, weinende Seele, als Mimose.

    • Alex Autor des Beitrags

      Danke Angelo! Freut mich, dass dir der Text gefällt :) Deine „Interpretation“ zum Mimosen-Bild ist auch sehr schön, vielleicht war das dabei die vorherrschende Symbolik: Als Kinder sind wir noch empfindsam, empfindlich gar und mit der Zeit wird uns das, auf die ein oder andere Art, irgendwie abtrainiert. Eine Mimose zu sein ist eher negativ konnotiert, ist eine Eigenschaft, die uns viel Schmerz bereiten kann, doch ist es deswegen direkt etwas Schlechtes? Vielleicht tun wir der Mimose Unrecht…