Eine Fastengeschichte – Teil 2: Im Wald der Wandlung


Am vierten Tag machte ich eine kleine Wanderung durch die nähere Umgebung, weitete den Radius aber etwas aus.
Die Sonne brannte. Mittlerweile war T-Shirt-Wetter und ich würde bald darauf achten müssen, mir keinen Sonnenbrand im Gesicht zu holen.
Ich ruhte mich auf einer stillen Wegkreuzung aus, um etwas zu trinken und den leichten Unterzucker zu behandeln (Ich hatte natürlich einen riesigen Vorrat an Traubenzucker hierher mitgenommen. Meistens versuchte ich aber den Unterzucker mit Saft zu korrigieren).
Ich saß mitten auf der Waldwegkreuzung und wusste genau, niemand würde vorbeikommen. Ich sah die Ameisen herumlaufen und einige interessante Käfer. Hin und wieder flog ein Schmetterling oder eine Hummel vorbei.

In solchen Momenten fühlte ich nicht nur die Ruhe und die Kraft des Waldes, sondern war auch unheimlich fasziniert; ich brauchte keine großartigen Touristenattraktionen – gebt mir nur eine Wegkreuzung voller Insekten und alles ist gut.
Wollten wir nicht oft einfach immer viel zu viel? Von der Welt und auch von uns selbst? Mussten es immer die fernen Welten sein, die einzig und allein in der Lage waren unsere Aufmerksamkeit zu erregen? Immer höher, schneller und weiter wollten wir, mehr Input. Doch wofür? Um uns noch lebendiger zu fühlen? Um uns besser messen zu können? Unsere Erlebnisse verblassen im Schein der ungeahnten Möglichkeiten, die stattdessen existieren, die uns der Bekannte mit seinem Facebook-Post vorhält, höhnisch, neiderregend, die uns die Werbung versprach und egal, wohin wir letztlich fliegen würden um diesen einen selten Baum zu sehen, es war gerade gut genug für den einen einzigen Augenblick, der verging, bis sich die nächste große Steigerung ankündigen würde.

Ich spielte gerade mit einer Ameise und probierte aus, ob sie an einem Stück Traubenzucker interessiert war (War sie in keinster Art und Weise), da fiel mir zu dem Thema eine Geschichte ein:

Es war im Sommer 2014 gewesen. Ich war von einem Arbeitskollegen eingeladen worden, zum Grillen mit einigen Freunden und Bekannten an einen See zu kommen. Im Laufe des Nachmittags, nach einigen Gesprächen, kamen wir auf meinen demnächst anstehenden Urlaub zu sprechen, in dem ich von München mit dem Rad zur Lieberoser Wüste fahren wollte, was ich ebenfalls als eine Art Visionssuche geplant hatte. Abgesehen davon, dass natürlich niemand wusste, dass wir in Deutschland überhaupt eine Wüste haben (Die auch „Klein-Sibirien“ genannt wird) oder dass es sich dabei um die zweitgrößte Wüste in Mitteleuropa handelt, waren auch die Reaktionen aus der Gruppe eher befremdlich für mich:

Aha. Fahr doch einfach in die Sahara. Dann siehst du wenigstens gleich ’ne richtige Wüste.

Höher, weiter, besser. Soviel dazu.
Dabei ist es ja bei weitem nicht so, dass die deutsche Fauna und Flora irgendwie besonders langweilig wäre. Es gab dort Wölfe, Seeadler und die legendären (Vorsicht Ironie ;) Blauflügligen Ödlandschrecken. Ganz abgesehen davon, dass die Wüste teilweise ein ehemaliger Militärübungsplatz war und dementsprechend spannend die zeitzeugenden Objekte, die man dort finden konnte, waren.

Granate

Doch das ist eine ganz andere Geschichte und bevor ich mich zu sehr verzettle, kehren wir besser zurück in den Wald.

Ich war bereits wieder auf dem Weg zurück von meiner Wanderung.
Da sah ich es: Ein Reh zupfte genüsslich ein paar Sträucher ab, mitten auf dem Hohlweg, eine Biegung weiter, ganz alleine. Ich zückte meine Kamera, verschanzte mich hinter dem nächstbesten Baum und konnte mit der sehr guten Zoom-Eigenschaft der Kamera einige Fotos schießen. Auf einem sieht es mich eindeutig an (und streckt mir vielleicht sogar die Zunge raus?), doch ich bin mir eigentlich sicher, dass ich zu weit weg war.

Reh

Es konnte mich vielleicht nicht sehen, doch es registrierte mich irgendwie.
Ich wollte näher heran und schlich mich die dem Reh uneinsehbare Seite der Weg-Böschung entlang.
Da ertönte plötzlich ein lauter Knall und es war weg. Ich hoffte inständig der Knall hatte keinen Schuss zu bedeuten, doch ich vermutete, dass es ein unzusammenhängendes Geräusch war. Was für ein unglücklicher Zufall, dass der Knall genau jetzt ertönte.
Ich ging zur Stelle, an der das Reh gefressen hatte und staunte. Dort ragten zwei riesige Bäume aus der Böschung, genau gegenüber und neigten sich einander zu. Es sah aus wie ein Torbogen, ein Portal, und als ich es durchschritt und ich über mir kurz die Äste und Stämme und nicht mehr den freien Himmel sah, hatte ich das Gefühl wirklich die Dimension gewechselt zu haben.

Baumportal

Frieden war jetzt keine adäquate Beschreibung mehr für das, was ich empfand. Ich setzte mich direkt auf den Weg, ins Gras, neben eine große Distel und versuchte dieses Gefühl zu erforschen. Ich hatte ein bisschen Agua dabei und reinigte mein Energiefeld. Dann schloss ich die Augen und wartete darauf, was die Bäume mir zu erzählen hatten, was ich von ihnen erfahren durfte.

Ich merkte dabei, dass ich eingerostet war, was das schamanische Reisen anging. Sich der geistigen Welt passiv zu öffnen, ist einerseits genauso Übungssache, wie alles andere auch, andererseits ist es aber auch abhängig von der Fähigkeit den Bewusstseinszustand zu verschieben – hört man auf das zu tun, verschwindet die Fähigkeit nach und nach. Die Welt spricht zu uns in allen möglichen Arten und Formen. Doch wollen wir die Botschaften bewusst begreifen und sie erzählt bekommen, müssen wir uns öffnen können und ihr ein Stück weit entgegen kommen. Wie soll irgendetwas zu dir kommen, in klaren Bildern, nicht nur in vagen Gefühlen, wenn du verschlossen bist oder dich in einer vollkommen anderen Welt befindest?

Ich hatte mir ein Buch nach Holzhau mitgenommen, das ich vor meinem Spaziergang im Wald gelesen hatte: Im Wald der Wandlung von Forster Perry. Er äußert sich dort auch zu diesem Sich-öffnen und beschreibt einen Zusammenhang dieses Zustandes mit der Kundalini-Energie, die in Form einer Schlange von unten nach oben durch die Chakren steigt. Sie wird in mehreren Strömungen als die Kraft betrachtet, die uns öffnen kann, die Verbindung zwischen Erde und Himmel durch uns herstellt und all unsere energetischen Aspekte, die durch die verschiedenen Chakren aufgeteilt werden, einen kann. Für Perry stellt sich eine Verbindung zwischen den Bäumen und der Kundalini dar:

Der Saft des Baumes erinnert mich daran, dass ein Feuer, eine Lebenskraft, die nie ausbrennt, im Inneren aller Lebensformen lebt. Dieses Feuer ist die Kundalini. Wenn sie aktiviert wird, öffnet sich die Psyche für die anderen Welten. [..] Kundalini ist eine Verschmelzung mit dem Selbst, die das Göttliche und die Natur einschließt und uns dennoch bleiben lässt, wer wir essentiell sind. Seelenreisen und schamanische Einweihungen dürfen uns niemals vom Pfad unserer essentiellen Menschlichkeit ablenken oder davon, uns unserer Sterblichkeit und unserer Begrenzungen bewusst zu sein. Diese Mittel verdeutlichen, was es bedeutet, ein Körper zu sein – weniger eine Verschmelzung mit einem anderen Wesen, sondern eher eine Heimkehr zum Selbst.

Schließlich versuchte ich die Verbindung herzustellen, indem ich an das Reh dachte, es visualisierte, mir vorstellte, wie es mich ansah, und mit jeder Sekunde wurde das Gefühl intensiver mit ihm verbunden zu sein. Mit ihr verbunden zu sein.

Das Reh als Krafttier ist ein starkes Symbol für das Wieder-zurück-finden im inneren Wald der Gefühle und Themen. Zaghaft stupst es dich an, um dir mitzuteilen, dass du nicht alleine bist, auch wenn um dich herum nur Bäume zu sein scheinen, dass sich Hilfe und Führung im Dickicht des Waldes verbirgt. Es zeigt dir, dass Frieden, Sanftmut und Dankbarkeit möglich sind, auch dir selbst gegenüber. Hör auf dich immerzu selbst zu kritisieren und begegne dir selbst mit Liebe. Du darfst schwach sein, um Hilfe bitten, deine Gefühle und deine Verletzlichkeit offen zeigen, deine Unzulänglichkeiten, Ängste und Unsicherheiten gehören genauso zu dir wie alles andere. Du kannst Schutz im dichten, dunklen Wald suchen, doch früher oder später wirst du daraus hervorkommen müssen.

Das ist wahrscheinlich der richtige Zeitpunkt, etwas über Krafttiere zu erzählen, denn der Begriff sowie verschiedene Krafttierbeschreibungen werden in meiner Geschichte immer wieder vorkommen:
Oft bekomme ich, wenn ich diese Thematik erkläre, die Frage gestellt:

Was ist denn dein Krafttier?

Diese Frage zeigt deutliches Unverständnis über das Konzept der Krafttiere. Es klingt so, als wäre ein bestimmtes Tier mein Logo. Eine Art Identifikationssymbol. Das aber ist die nächste Stufe, in der ein Krafttier zu einem persönlichen spirituellen Führer oder eben zu einem persönlichen Symbol des Menschen selbst wird.
Begegnest du einem Tier in freier Wildbahn, verbindest dich mit ihm, trittst in irgendeiner Form in Wechselwirkung und befindest du dich auf einer Art von Visionssuche, so ist es immer ein Krafttier. Denn alles, was dir begegnet, ist eine Botschaft der Welt. Das Konzept des Krafttiers bringt eine Komponente der Eigen-Energie des Tiers mit ins Spiel.
Krafttiere sind verknüpft mit deinen Themen, deinen Wünschen, deinen Ängsten und dem, was gerade ist. Und ja, viele begleiten dich abschnittsweise auf deiner Lebensreise. In diesem Zustand wird aus dem Krafttier, wenn du es denn bewusst begreifst und annimmst, ein spiritueller Führer, der dich mehr lehren soll, als nur die Botschaft einer einzelnen Situation zu sein.
Für einen Schamanen ist jedes einzelne Wesen auf dieser Welt ein Kraftwesen. Jedes Tier ist sein Krafttier und viele sind persönliche spirituelle Führer. Es gibt also keine Antwort auf diese Frage.
Seminare, die sich „Finde dein Krafttier“ nennen, sind Anfänger-Seminare oder Spielereien. Auch ich machte eine Reise, ganz zu Beginn (ich glaube, es waren die ersten 10 Minuten) meiner schamanischen Ausbildung, um „mein Krafttier“ zu finden. Es handelt sich dabei nur um das erste Hineinspüren in das Prinzip und die Thematik schamanischer Reisen.

Das Reh begegnete mir hier als Krafttier, denn es, nein, SIE führte mich in eine Verbindung mit allem um mich herum. Sie nutzte ihre Rolle als Wegweiser und verband mich auch mit der Hummel, die hinter mir herumbrummelte, mit der kleinen roten Spinne vor meinen Füßen, mit der Ameise, die neben mir auf dem Gras herumkrabbelte, mit dem goldenen Käfer auf dem Distelblatt, und jedem einzelnen Leben, das von den Blättern und der Erde beschützt, im Verborgenen um mich herum anwesend war.

Ich musste plötzlich wieder an die Zecke denken, die ich einen Tag zuvor aus dem Wald mitgebracht hatte:

Zecke

Als ich sie auf meinem Arm herumkrabbeln sah, wischte ich sie panisch auf den Boden im Wohnzimmer. Ich hatte schlechte Erfahrungen mit Zecken gemacht und wurde 2011 von einer im Bayrischen Wald mit Borreliose infiziert.
Ich suchte den Boden ab, denn ich wollte sie nicht im Haus haben. Ich fand sie, obwohl sie höchstens einen Millimeter groß war, wie sie munter auf dem Holzboden herumkrabbelte. Ich setzte an, sie mit der Taschenlampe zu töten, mit der ich sie gefunden hatte.
Aber ich wollte nicht. Mein Gefühl sagte mir, dass es nicht richtig sei, sie für etwas zu bestrafen, was sie nicht getan hatte, und auch wenn sie eine Zecke war, so war ihr Recht auf Leben unumstößlich. Viel mehr noch: ihr Recht zu leben war exakt genauso groß wie meines. Wer war ich, ihr dieses Recht abzusprechen? Ich wollte es nicht tun, also brachte ich sie nach draußen. Selbst wenn sie mich wiederfinden und beißen sollte, würde ich diese Entscheidung nicht bereuen.

Ich saß noch immer unter den Bäumen und fühlte die Verbundenheit nun zu jedem Lebewesen. Und ich bereute in diesem Moment so sehr, mich nicht klar und deutlich genug gegen Fleischkonsum für mich selbst einzusetzen. Ich ernährte mich zwar schon weitestgehend vegetarisch, ohne Eier und wenn möglich Milchersatz sowie eingeschränktem Käsekonsum – doch manchmal ließ ich mich hinreißen und verfiel in alte Muster und haute mir Fleisch rein. Ich weiß nicht genau warum, womöglich um mich deswegen schlecht zu fühlen. Mit Sicherheit aber nicht, weil es unmöglich war, es in dieser Situation zu umgehen, es eine besondere Situation war oder weil es besonders lecker gewesen wäre.
Ich schämte mich in diesem Moment so sehr dafür, weinte darüber und wollte es wiedergutmachen. Also versprach ich den Bäumen, mich noch mehr zu bemühen, diese Situationen zu vermeiden.

Ich möchte hier jetzt eigentlich keine große Debatte über das Fleischessen an sich starten, obwohl es sich anbieten würde, denn dann wäre diese Geschichte niemals zu einem Ende kommen. Jeder soll tun, was er in seinem Herzen für richtig hält. Das Problem, das ich dabei sehe, ist nur, dass wir es tun, obwohl wir es tief in uns, aufgrund unserer Weiterentwicklung, als falsch empfinden. Dann finden wir Ausreden, die sich auf ernährungsphysiologischen Fehlinformationen und evolutionstheoretischen Absurditäten stützen und plappern Unsinnigkeiten der Fleischindustrie und deren Manipulatoren und Lobbyisten nach, die sich im selben Atemzug die Hände reiben, weil ihre nächsten Milliarden wieder sicher sind. Obwohl wir selbst vermutlich nicht mal in einer Notsituation dazu fähig wären, im Wald einen Hasen zu erlegen, zu häuten, auszunehmen und zuzubereiten, obwohl unsere Kinder mittlerweile denken, Wiener wachsen an den Wiener-Bäumen und obwohl wir uns die Augen zuhalten müssen, wenn wir sehen wie Küken als Massenware bei lebendigem Leib in große Häckselmaschinen geworfen werden.
Und nein, es geht hier nicht um Massentierhaltung.

Ja ja, die Massentierhaltung ist schrecklich. Also ICH geh immer zu dem Metzger im Nachbarort, da weiß ich was ich kriege, da ist das Schweinchen glücklich gestorben, ja ja.

Also bitte!
(Eigentlich, so dachte ich mir einmal ironisch, sind die Leute, die so etwas sagen und befürworten um ihr Gewissen zu beruhigen, viel heuchlerischer, als es die Massentierhaltung ist. Denn: Warum sollte es besser sein, ein glückliches Tier aus seinem glücklichen Leben zu reißen und zu töten, als ein unglückliches, leidendes Tier mit dem Tod von seinem Leid zu erlösen?)
Es geht darum, ein Leben zu beenden, weil wir GLAUBEN, dass wir Fleisch benötigen, obwohl wir das nicht (mehr!) tun. Und bitte, bitte kommt mir jetzt nicht mit diesen unsäglichen, unreflektierten „Gegenargumenten“, dass Pflanzen auch Gefühle hätten. Abgesehen davon, dass der Großteil an Obst und Gemüse von der Natur so konzipiert ist, gegessen zu werden, sind wir immer noch Wesen, die sich ernähren müssen. Es geht hier darum, auf welcher Ebene wir das tun. Vergesst doch mal, was mal war, wer wir mal waren, was mal notwendig war, um uns zu ernähren. Und seht, was wir sind: Wir sind keine Raubtiere! Wir sind, genau wie unsere nächsten Verwandten, die Affen, Pflanzenfresser, genaugenommen Frugivore, Fruchtfresser – wir haben weder das Gebiss noch das Verdauungssystem für Fleisch. Unser Darm z.B. ist länger als das bei Fleischfressern üblicherweise der Fall ist, wodurch es sogar vorkommen kann, dass Fleisch noch in unserem Darm zu faulen beginnt, und nein, das ist NICHT normal oder gesund. Und dementsprechend ungesund sind tierische Produkte im Grunde auch (die zugesetzten Medikamente und Hormone, die wir mitaufnehmen mal außer Acht gelassen). Wir sind nur unheimlich robust, deswegen überleben wir es. Gesund bleiben wir dabei aber nicht. Aber was heutzutage ja an Zivilisationskrankheiten als „normal“ akzeptiert wird, nur um weiter in seiner Heile-Welt-Blase zu bleiben, ist ja noch mal ein Kapitel für sich.
Aber warum tun wir es dann? Warum erfinden wir diese Ausreden? Warum glauben wir, die Menschen seien Fleischfresser?
Meine Theorie ist: Weil wir es gerne wären und weil wir uns diesen „Exploit“ mit Hilfe von Werkzeug und Waffen hart erarbeitet, ja gar erkämpft, haben. Wo kämen wir denn da hin, das einfach wieder aufzugeben?! Wir wollen die Krone der Schöpfung sein. Wenn wir nicht alle anderen Lebewesen unter uns unterjochen, ausbeuten, töten und versklaven würden – wie könnten wir dann die Krone der Schöpfung sein? Etwa durch Liebe und Mitgefühl? Pfff.
Um es noch mal klarzustellen, falls in dem Moment schon bei dem ein oder anderen fleischliebenden Leser ein reflexartiges „Ja, aber…“ im Kopf ertönt: Es geht mir um die moderne, westliche, zivilisierte Gesellschaft. Ich will keinem Löwen Tofu verkaufen (immer wenn jemand mit diesem bescheuerten Bild mit dem Löwen kommt, zweifle ich übrigens offiziell an seiner Intelligenz) und keinem Amazonas-Eingeborenen den Pfeil und Bogen wegnehmen. Aber wir leben hier im Überfluss und können uns den Luxus erlauben, für uns eine Entscheidung zu treffen, die lediglich der Befriedigung unseres Egos schadet, auf der anderen Seite aber Milliarden von Leben rettet (Ja, auch Menschenleben – würden wir alle aufhören Fleisch zu essen, wäre der Welthunger Geschichte).

Aber nein, ich möchte keine Debatte darüber führen. Tut, was immer ihr für richtig haltet. Und vor allem: jeder Weg ist individuell und befüllt im großen Geflecht eine Rolle, also bitte, geht ihn, wie auch immer ihr mögt.
Was ich eigentlich sagen wollte, war: All die Argumente, Gegenargumente, Streitigkeiten und Diskussionen sind irrelevant; wenn du unter zwei mächtigen Baumseelen inmitten eines Hohlweges sitzt, auf den dich ein Reh geführt hat und du dabei bist, eine Botschaft zu erhalten und du begreifst, dass es Teil der Botschaft ist, dass du das Kein-Fleisch-essen durchziehen sollst – dann sind Argumente unwichtig. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, es geht immer nur um das, was in unseren Herzen ist. Mein Versprechen an die Bäume kam tief aus meinem Herzen und war Teil der Wandlung, die ich in mir und in diesem Wald suchte.

Und ich wurde belohnt mit einer Vision:
Ich sah einen kleinen Jungen und mich, wie ich ihn auf den Schultern trug, wie ich ihm etwas im Gras zeigte und ihn lehrte, dass alles Leben wertvoll ist und wir es achten sollten, wir aufeinander achten sollten, aufhören sollten uns als etwas zu fühlen, was wir zu fühlen längst nicht mehr nötig hatten: die Krone der Schöpfung, die sich selbst und jedem anderen Wesen zu beweisen hatte, was Machtlosigkeit, Schmerz, Leid und Unterwerfung zu bedeuten hatte.
Aber es ging nicht nur darum in diesem Bild; es ging auch darum, dass ich mich daheim fühlte, angenommen und gebraucht, nicht mehr einsam, wie es leider für mich als ewigen Single Mitte Dreißig, um den herum alle Gleichaltrigen anfangen eine Familie zu gründen und ihren Platz gefunden zu haben scheinen, ein alltägliches Gefühl war. Nicht nur wegen der Anderen um mich herum, sondern durchaus auch wegen der großen Sehnsucht danach in meinem Herzen, die korrumpiert wurde von dem Lebensthema meines Vaters. Hass, Sabotage, Kampf. Das Gefühl, für etwas bestraft zu werden, was vergangene Leben und Jahrhunderte alt war und deswegen nicht gut genug dafür zu sein und die Einsamkeit als Strafe annehmen zu müssen.
Es war nicht direkt eine Vision meiner Zukunft; es war eine Vision davon, dass ich nicht in die Fußstapfen meines Vaters treten wollte und auch nicht musste, dass ich frei sein konnte und diesen seinen Fluch nicht weiterleben musste, wenn ich denn nicht wollte und wenn ich darauf vertrauen konnte, dass die Welt mir dabei helfen wollte.
Etwas blitze vor meinem inneren Auge auf, wie die Klinge eines Dolches und verschwamm sofort darauf, als wäre es in Wasser gefallen. Langsam sank es tiefer und tiefer auf den Grund des Ozeans und mir wurde klar, dass sich wieder der Ertrunkene meldete, über den ich bei meinen vormaligen Fastenerfahrungen schon einiges erfahren hatte. Eine ungreifbare Ahnung beschlich mich. Sollte der Fluch des Ertrunkenen, den ich in den Tiefen meiner Seele liegen sah, mehr mit meinem Vater zu tun haben, als ich immer gedacht hatte? Erst später sollte sich diese Verknüpfung weiter verdeutlichen.

Ich saß noch ein wenig so da, ließ die Bilder in meinem Kopf aushallen, in der Sonne, im Wind und genoss die Stille und den Frieden um mich herum.
Ich hatte das Gefühl, ich saß im Wald der Wandlung, von dem Perry gesprochen hatte:

Der Wald der Wandlung bringt jeden von uns der Gesamtheit der Natur näher, der Empfindsamkeit der natürlichen Rhythmen, den Geheimnissen, die nur ein Baum aufbewahren kann.

Ich hatte Bäume immer geliebt, ich hatte den Wald immer geliebt, in meiner Kindheit – wie jedes Kind vermutlich – besonders. Doch irgendwann kam das Wasser. Die Dunkelheit. Die Finsternis und Schwere auf dem Grund des Ozeans. Und es zog mich immer mehr an. Mir war nicht bewusst gewesen, dass es der Fluch des Ertrunkenen gewesen war, der mich mit dieser Liebe zum Wasser, zu seiner Tiefe und seiner unbändigen Kraft verband. Und noch immer ist mein Herz viel näher am Wasser, als bei den Bäumen, der Erde, den Bergen oder dem Wind.
Das war an sich nichts schlechtes, so war es eben. Alle Elemente wirken in uns, mal mehr oder weniger und wir können uns nicht immer mit allem gleich stark verbunden fühlen.
Doch ich hatte das Gefühl, dass das nicht alles war und dass ich hier doch aus einem viel spezifischeren Grund war, als ich anfangs dachte; es ging nicht nur um das Fasten oder das Auflösen bestimmter zwanghafter Verhaltensweisen. Es ging um Wandlung. Mehr noch: es ging nicht in erster Linie um mich, sondern um viel mehr.

Ein kalter Wind zog auf und eine große, schwere Wolke zog vor die Sonne. Neben mir lag ein Stein, den ich jetzt erst bemerkte. Ich hob ihn auf. Ich befühlte den Stein in meiner Hand, er war sehr groß, kantig, flach, angedeutet dreieckig, von gelblich-rötlicher Farbe. Ich hatte noch nie mit so einem großen Stein für mich gearbeitet. Auf meinen kurzen Spaziergängen durch den Wald hatte ich bereits ein paar Steine bekommen. Ich hatte nicht vorgehabt, hier Steine zu sammeln, doch langsam deutete sich an, dass ich aktiver mit ihnen arbeiten sollte.

Noch war mir nicht bewusst, dass dieser Stein der Mittelpunkt der nachfolgenden spirituellen Erfahrungen meinerseits werden würde und dass er für eine große seelische Last stand, die nicht nur mich betraf, und die zu transformieren und zu heilen die Bestimmung meiner Reise sein sollte.

~ Fortsetzung folgt ~


Zu den anderen Teilen der Fastengeschichte geht es hier:
Teil 1: Eine Fastengeschichte – Große Erwartungen
Teil 2: Eine Fastengeschichte – Im Wald der Wandlung
Teil 3: Eine Fastengeschichte – Stille
Teil 4: Eine Fastengeschichte – Lebendige Steine
Teil 5: Eine Fastengeschichte – Licht und Dunkelheit
Teil 6: Fastentagebuch 2016 – Das Despacho (In Arbeit)
Teil 7: Fastentagebuch 2016 – Chaos und Ordnung (In Arbeit)
Teil 8: Fastentagebuch 2016 – Retrospektive (In Arbeit)

Zu meinen Fastenhistorien:
Teil 1: Fastenhistorie 2012
Teil 2: Fastenhistorie 2013
Teil 3: Fastenhistorie 2014
Teil 4: Fastenhistorie 2015 – Teil 1
Teil 5: Fastenhistorie 2015 – Teil 2 (In Arbeit)
Teil 6: Fastenhistorie 2016 (In Arbeit)
Teil 7: Fastenhistorie 2017 – Teil 1 (In Arbeit)
Teil 8: Fastenhistorie 2017 – Teil 2: Trockenfasten (In Arbeit)
Teil 9: Fastenhistorie 2018 (In Arbeit)
Teil 10: Fastenhistorie 2019: 28 Tage Fasten (In Arbeit)

Fastentheorie:
Teil 1: Fastentheorie
Teil 2: Fasten und Sauna


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert