Viel zu oft können wir uns nicht verabschieden.
Wir glauben, dass nur ein „Leb wohl“ von unseren Lippen ausdrücken kann, dass wir loslassen konnten. Dass nur ein in Worte gefasster Abschied auch ein echter Abschied ist.
Wenn wir uns nicht verabschieden konnten und daran zerbrechen, dann haben wir uns eigentlich nicht erlaubt daran zu glauben, dass es auch trotz eines fehlenden Abschieds eigentlich gar keine Abschiede und doch nur echte Abschiede gibt.
Dass es keinen Unterschied macht.
Ich verabschiede dich jeden Tag aufs Neue. Verzweifle daran. Habe das Gefühl um meine Abschiedsfloskeln betrogen worden zu sein.
Die Floskeln, die jeder ständig um sich wirft. Die jeder glaubt über seine Lippen perlen lassen zu müssen, damit etwas echt wird.
Damit das Loslassen echt wird.
Damit das Aufgeben echt wird.
Damit das Weiterleben echt wird.
Wenn uns etwas entrissen wird, so müssen wir uns immer und immer wieder auf die gleiche Weise (nicht) verabschieden.
Wir verletzen die Menschen, denen wir die Rolle unseres fehlgeschlagenen Abschieds aufdrücken, ohne es richtig zu merken. Merken nicht, dass sie nicht gehen wollten, doch mussten. Nur damit wir uns ein weiteres Mal nicht verabschieden konnten.
Eine scheinbar endlose Schleife, die erst im Tod durchbrochen wird.
Doch wer muss sterben?
Die Welt, wir selbst, unser Ego, unsere Seele, unsere Glaubenssätze oder unsere Rollenbilder?
Was immer es ist: Es windet sich in mir, will nicht sterben, kann sie nicht loslassen, die alten Schwüre, die geflüsterten Zauberformeln, die sich letztlich in Flüche verwandelt haben. Die Bilder.
Bilder trauter Zweisamkeit unter einem blutenden Mond und inmitten fallender Sterne. In die Bedeutungslosigkeit gewischt, mit nur einer einzigen Handbewegung. Gefühllos, kalt, ohne Herzensenergie.
Hand in Hand spazierst du mit dem neuen Surrogat deines toten Vaters in den Sonnenuntergang, mich vergessend, bis der Zyklus des Sich-Nicht-Verabschiedens einen neuen Durchlauf erfährt.
Lass ihn doch endlich gehen. Er ist schon so lange fort. Flüstere ich dir zu. Doch du hast es nie verstanden.
Und ich verabschiede dich weiter. Verzweifle manchmal daran. Zerbreche manchmal daran. Ohne es wirklich zu verstehen.
Doch möchte daran glauben, dass es notwendig ist. Auf einer weit entfernten Seinsebene. In einer anderen Wirklichkeit. Denn hier, in dieser Wirklichkeit, warst du niemals gut zu mir. Wandtest mir immer nur den Rücken zu. Warst nie echt.
Und trotzdem fühle ich mich betrogen und missbraucht vom letzten Surrogat meiner toten Mutter, mich selbst vergessend, bis der Zyklus des Sich-Nicht-Verabschiedens einen neuen Durchlauf erfährt.
Lass sie endlich gehen. Sie ist schon so lange fort. Flüstere ich mir selbst zu. Wieder. Und wieder. Und wieder. Und wieder.
Gern hätte ich noch so vieles gesagt. Gern hätte ich dir mehr zugehört. Gern hätte ich alles besser verstanden. Dich und mich und die Welt und die Botschaft des Mondes.
Warum es keinen Abschied geben konnte und warum der Abschied trotzdem so klar sein musste.
Warum du mich nicht sehen konntest. Warum du dir immer selbst die Nächste warst. Warum du deine Identität immerzu auf Lügen aufbautest.
Warum du mir diese Lügen ins Ohr flüstern musstest, die du selbst so gern geglaubt hättest.
Warum nur Asche bleibt.
Und warum etwas in mir trotzdem nicht loslassen kann.
Gern würde ich wissen, wie oft ich diese Worte noch sagen muss, bis ich sie endlich glauben kann, bis sie mir keine Angst mehr machen.
Ich werde es weiter versuchen, solange es nötig ist, gelogen oder nicht:
Leb wohl.
Danke!
Bitte!