Meine Fastenhistorie – Teil 3: 2014 2


Januar 2014 – Bad Brambach

Das Fasten in Bad Brambach war das erste Mal Fasten alleine für mich und hatte bereits den Neustart-Charakter, den ich auch dem Fasten in Holzhau gegeben habe.
Das lag daran, dass es ein wichtiger Zeitpunkt für mich war: Ich hatte meinen Werkstudentenjob, in dem ich seit neun Jahren gearbeitet hatte, gekündigt, meinen Studentenstatus endgültig an den Nagel gehängt und sollte im Februar meinen ersten Vollzeit-Job in Festanstellung beginnen; ich weiß, allgemein war ich relativ spät dran. Ich hatte aus verschiedenen Gründen ziemlich lange für mein Studium gebraucht. Abgesehen davon, dass ich es erst mit einem Informatik-Studium versucht hatte, bei dem ich vor dem Vordiplom an der Mathematik scheiterte, zog ich mein Linguistik-Studium auch ziemlich in die Länge und reizte alle Fristen aus, so dass ich am Ende als einer der letzten Magister-Studiengänge nach der Höchststudiendauer von 12 Semestern ziemlich knapp noch durchkam. Vieles hätte noch schiefgehen können, doch alles ging gut. Dass mein bevorstehender Job absolut gar nichts mit Sprachwissenschaften zu tun haben sollte, sondern genau mit dem verbockten Informatikstudium, war ironisch – nicht aber sonderlich überraschend; ich kam über eine persönliche Empfehlung in den Job. Es bestätigt aber mein Weltbild: man sollte nicht zu viel auf Dinge geben, die wir in den Händen halten: Zertifikate, Abschlüsse, Zeugnisse, Bestätigungen – all das hat kaum eine Bedeutung für die Dramaturgie der Welt.
Mein Magister hatte genau einen einzigen Existenzgrund bisher: Es war wichtig für mich nach 10 Jahren Studium und erfolgloser Selbstsuche endlich einen Schlussstrich zu ziehen und etwas abzuschließen.
Dass der Job nun letztlich nicht meine Erfüllung ist, hat für die Geschehnisse damals keine Bedeutung. Ich habe mich treiben lassen und einen für mich persönlich wichtigen Schritt getan. Doch als ich zum Fasten fuhr, war ich mir nicht so sicher und das war der Grund dieser Auszeit: ich hatte Angst davor mit der Anforderung eines „normalen“ Berufslebens nicht klarzukommen. Dass es mich auslaugen würde, inkompatibel zu meiner Schlafphysiologie, zu meinem Regenerationsbedürfnis und zu meiner Stressanfälligkeit sein würde. All das bewahrheitete sich schließlich, trotzdem war es wichtig das auszuprobieren.
Beim Fasten in Bad Brambach wollte ich mir Zeit nehmen, dieser Angst zu begegnen und mich auf die einschneidende Veränderung vorbereiten.

Es war bis dato und auch seitdem der einzige Fastenurlaub, in den ich mein Fahrrad mitnahm. Im Nachhinein betrachtet war es zwar schön, es dabei gehabt zu haben und ich hätte ansonsten auch ein paar schöne Erfahrungen vermutlich nicht gemacht, doch mittlerweile weiß ich, dass es zu anstrengend ist und dem Fasten (zumindest für mich als Diabetiker) kontraproduktiv gegenübersteht. Anstrengende sportliche Aktivitäten (Und dazu gehört einen Berg hochfahren definitiv) bringen meinen Körper in eine Art von Hysterie, die ich sehr schwer kontrollieren kann – ich brauche Insulin, um den Körper dabei zu unterstützen, ich kann ihm aber keine Kohlenhydrate bieten. Stimmt die Insulinmenge nicht, kann es entweder sehr gefährlich werden, da er versucht die Anstrengung mit übermäßiger Ketonkörperproduktion zu kompensieren, was eine Übersäuerung des Bluts zur Folge hat, oder in einen Unterzucker führen, der mich dazu zwingt Zucker aufzunehmen, was ich weitestgehend vermeiden will, wenn ich faste.

Trotzdem hatte mein Fahrrad hier seine Rolle: es war Winter, in dem Kurort lag viel Schnee und es machte mir großen Spaß durch den Schnee zu cruisen. An einem Tag fuhr ich in ein entferntes Wald- und Sumpfgebiet, weil es mir ein tiefdunkler, schwarzer Fleck auf der Karte dort angetan hatte, der sich „Tiefsee“ nannte.
Ich bretterte bergab über Schnee, Wurzeln und Eisflächen und einmal legte es mich tatsächlich auch so richtig auf die Fresse. Ich habe heute keine Ahnung mehr, warum ich da so waghalsig gewesen war – irgendwie war ich euphorisch; ich liebte die Winter-Wald-Landschaft und war hochinspiriert.

Fahrrad

Ich suchte den See und fand ihn trotz GPS erst ewig nicht und fuhr mehrmals im Wald im Kreis, bis ich erkannte, dass er nicht direkt zugänglich war. Ein langer schmaler Steg aus Brettern auf dem Boden führte mitten im Wald durch das vereiste Sumpfgebiet, mehrere hundert Meter, bis er schließlich am Ufer des kleinen, runden Sees endete, der komplett vereist war. Leider habe ich kein gutes Foto von ihm gemacht, daher kann ich nur eine Andeutung bieten:

Mondsee

Er war wunderschön. Komplett in den Sumpf eingebettet, rundherum Bäume bis auf diese eine kleine Stelle, an der der Steg anlegte. Er war magisch und in dem Moment wusste ich, dass ich den Mondsee aus meiner Geschichte gefunden hatte. Ich hatte einen Stein mitgenommen, der noch immer für die gescheiterte Beziehung zu meiner Ex-Freundin stand, und der etwas enthielt, was endlich ruhen wollte, weil mir die Trennung auch mehrere Monate später keinen echten Frieden ließ.
Statt also die Zeit zu werden, die ich an der Angst vor der beruflichen Veränderung arbeiten wollte, wurde dieses Fasten zu dem, wofür es von Anfang an geplant war: eine letzte Auseinandersetzung mit dem Mädchen, das mir in meinen Visionen ein Jahr zuvor beim Tauchen in ebendiesem See, an dessen Ufer ich gerade stand, ihre Liebeserklärung gemacht hatte.
Ich ließ den Stein dort, in der Mitte der vereisten Oberfläche des Sees und wusste aus einer Ahnung heraus, dass ich eines Tages im Sommer hier schwimmen würde.

Ebenso wie auch mein aktuelles Fasten hier in Holzhau, hatte ich in Bad Brambach die Ambition mich gewisser Abhängigkeiten zu entledigen. Damals ging es um die Psychopharmaka, die ich zum Schlafen nahm. Ich habe nie gut geschlafen und es war immer anstrengend und nicht erholsam. Viel machte natürlich der Diabetes aus, der mich oft weckte, wahlweise mit Unterzucker oder Zuckerspitzen, je nachdem wonach ihm war, wie es schien, doch das war nicht alles.
2012 suchte ich mir Hilfe in einem Schlaflabor. Körperlich war mit mir, den Bluttests zu urteilen, alles „in Ordnung“, wobei ich das hier in Anführungszeichen setzen möchte, denn zum einen war mein Blutdruck eine Katastrophe und zum anderen wog ich einfach viel zu viel. Optimal eingestellt war mein Zucker auch nicht. Trotzdem lies ich mich auf eine genauere Untersuchung meines Schlafes ein, was ich ziemlich spannend fand: Es wurde alles gemessen, was man sich vorstellen konnte: Bewegungsmuster, Augenbewegungen, Atemgeräusche, Sauerstoffsättigung und natürlich auch die Hirnaktivität.
Meine Ergebnisse sahen dabei so aus:

Schlaflabor

Es kam tatsächlich heraus, dass ich kaum in die Tiefschlafphase kam und falls ich sie doch mal kurz erreichen sollte, schreckte mein Kopf sofort wieder auf und war beinahe wieder wach.
Das Problem: wir wissen absolut nichts über den Schlaf. Wie messen zwar munter unsere Gehirnströme und ordnen sie bestimmten Schlafphasen zu, aber was es wirklich zu bedeuten hat – das wissen wir nicht.
Ich beziehe mich hier auf das Verstehen des veränderten Bewusstseinszustandes. In der schamanischen „Forschung“ gibt es eine Hypothese, die den Schlaf- und besonders den Traumzustand als denjenigen Bewusstseinszustand betrachtet, der einst der „wahre“ Zustand gewesen sein soll – der Wachzustand entwickelte sich erst daraus, durch die Manifestation, die Fleischwerdung, die Bewusstwerdung, kurz: durch die Formung der holografischen Realität um uns herum. Ein interessantes Buch dazu ist Der schamanische Weg des Träumens von Carlo Zumstein.
Genauso ahnungslos waren die Ärzte angesichts meiner Ergebnisse, obwohl mir die Diagnose doch ziemlich speziell und konkret vorkam, und verschrieben mir ein relativ neues Medikament, ein Psychopharmakon, genau genommen einen sogenannten Melatoninagonisten, der gleichzeitig auch Antidepressivum war. (Agomelatin).

Es half ein wenig und ich wurde regelmäßig beim Neurologen vorstellig. Irgendwann schwand die Wirkung dahin und ich bekam ein anderes Medikament, ein sog. atypisches Neuroleptikum (Quetiapin), verschrieben. Auch dies half und ich begann beide in Kombination zu nehmen. Es funktionierte, aber irgendetwas stimmte nicht… Ich fühlte mich immerzu abgeschlagen und hatte tagsüber manchmal das Gefühl davonzudriften, so als würde ich schlagartig für einen kurzen Moment einschlafen. Der Höhepunkt dieser Erfahrung, als ich einmal während eines Gesprächs und mitten im Satz einen kurzen Aussetzer hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde schlief ich und im nächsten Moment war ich wieder da. Dieser Aussetzer war so lang, dass ich beinahe stolperte und mein abruptes „Wegsein“ sogar meiner Begleitung in diesem Moment auffiel.
Ich lies mich in der Neurologie untersuchen, da der Verdacht bestand, dass es sich um eine Form der Epilepsie oder Narkolepsie handeln könnte, doch zum Glück waren die Befunde unauffällig. Ich war mir ziemlich sicher, dass es an den Medikamenten lag, also beschloss ich in Bad Brambach von beiden runterzukommen und mich mehr um die echte Sonne zu kümmern – denn was interessant war und wofür das Medikament sicher gut war: es führte mich näher an die Sonne. Sonnenlichteinstrahlung produziert durch die Zirbeldrüse das Tag-Nacht-Rhythmus-Hormon Melatonin. Ich erkannte, dass mich die Medikamente darauf aufmerksam machen wollten, dass ich zu lange in Dunkelheit gelebt hatte. Nicht nur im Außen, auch im Innen.
Die Zirbeldrüse steht in der Esoterik im Mittelpunkt der Erleuchtung und sehr viele Theorien ranken sich um sie. Sie wird als das Organ gesehen, das für die Öffnung des Kronenchakras steht und sie ist der Produzent des als Molekül des Bewusstseins bezeichneten, körpereigenen Psychedelikums, das auch Hauptbestandteil von Ayahuasca ist, welches das beliebteste Entheogen sein dürfte, das für schamanische Heilzeremonie genutzt wird: DMT.
Die Sonne und das Licht begannen mich immer mehr anzuziehen. Ich brauchte diese Medikamente nicht mehr, beschloss ich, und nahm mir diesen Plan vor.

Sonne

Es klappte gut und ich habe keines der beiden Medikamente seitdem wieder genommen. Allerdings stellte mich der Job vor eine für mich sehr schwierige Herausforderung: ich hatte das Gefühl, der Schlaf reicht mir nicht und mein Rhythmus wollte sich dem Rhythmus der Arbeitswelt nicht beugen. Ich war immer schon eher ein nachtaktiver Mensch gewesen und bekam einen Energieschub um 23:00-1:00; ich stand dann manchmal auf und begann zu schreiben, Künstler zu sein. Erholung im Schlaf finde ich vor allem in den späten Morgenstunden zwischen 8 und 11. Doch um nicht unterzugehen im Job, gewöhnte ich mir an, wie ja bereits erzählt, ein frei verkäufliches Schlafmittel zu nehmen, um früher schlafen zu können.

Ansonsten las ich viel. Ich las eine autobiographische Erzählung über einen unheilbar kranken, jungen Mann, der seine Heilung in der Welt der energetischen Heilung sucht: Von Scharlatanen, Schurken und Schamanen von Tobias Tripler.
Ein wundervolles Werk, das so viele Geschichten erzählt (und dementsprechend dick, großformatig und kleingedruckt ist) und mich wie kaum ein anderes Werk zu Tränen gerührt hat. Ich möchte es hiermit wärmstens empfehlen!
Mein Traum ist eigentlich, auch eines Tages meine eigene Geschichte in so einer Form aufzuschreiben und jemandem damit einen Impuls geben zu können.
Mir gab das Buch den Impuls, dass Heilung möglich ist. Ich glaube es seit jeher und weiß auch um die Schwierigkeiten, aber letzten Endes ist meine Krankheit auch nur eine seelische Ausformung.
Mittlerweile kann ich (und das erkannte ich erst letztes Jahr) den Moment ihres Ausbruchs genau erkennen und die Energie, die damals dahinterstand zuordnen. Es war keine Impfung, keine Infektion gewesen, die den Diabetes ausgelöst hatte, als die Dinge, die sich unser Verstand gern als Ausreden einfallen lässt, um ja nicht tiefer blicken zu müssen, es war alleine mein Wunsch gewesen – mein Konflikt in der damaligen traumatischen Situation, der eine richtungsweisende Kurskorrektur durchführte. Es war notwendig gewesen und hatte sich dann als Krankheit manifestiert. Eines Tages wird die Krankheit vielleicht nicht mehr notwendig sein, aber so oder so gehört sie zu mir. Das zu akzeptieren ist auch eine Form von Heilung. Der Frieden mit sich selbst, von dem ich bereits gesprochen habe.

Beim Fasten in Bad Brambach ging es mir körperlich sehr gut und ich erreichte meine bis dato niedrigste Basalrate von 13 Einheiten/Tag, die ich erst zwei Jahre später, hier in Holzhau, unterbieten können sollte.
Auch erreichte ich mein absolutes Rekordgewicht, welches sich jedoch durch den neu hinzugekommen Stress in der Arbeit die Monate darauf nicht halten ließ.

Da ich im Sommer 2014 dann dem Ruf der Wüste folgte und die Reise dorthin antrat, gab es in dem Jahr auch kein weiteres Fasten mehr.


Zu den anderen Teilen der Holzhau-Erzählung geht es hier:
Teil 1: Fastentagebuch 2016 – Große Erwartungen
Teil 2: Fastentagebuch 2016 – Im Wald der Wandlung
Teil 3: Fastentagebuch 2016 – Stille
Teil 4: Fastentagebuch 2016 – Lebendige Steine
Teil 5: Fastentagebuch 2016 – Licht und Dunkelheit
Teil 6: Fastentagebuch 2016 – Das Despacho (In Arbeit)
Teil 7: Fastentagebuch 2016 – Chaos und Ordnung (In Arbeit)
Teil 8: Fastentagebuch 2016 – Retrospektive (In Arbeit)

Zu meinen Fastenhistorien:
Teil 1: Fastenhistorie 2012
Teil 2: Fastenhistorie 2013
Teil 3: Fastenhistorie 2014
Teil 4: Fastenhistorie 2015 – Teil 1
Teil 5: Fastenhistorie 2015 – Teil 2 (In Arbeit)
Teil 6: Fastenhistorie 2016 (In Arbeit)
Teil 7: Fastenhistorie 2017 (In Arbeit)

Fastentheorie:
Teil 1: Fastentheorie.



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2 Gedanken zu “Meine Fastenhistorie – Teil 3: 2014

    • Alex Autor des Beitrags

      Danke für’s „Nice“ :)
      Ja, wer weiß, vielleicht entwickelt sich das ja noch in die Richtung und kann später zusammengepackt, neu sortiert und überarbeitet doch mehr werden :)