Eine Fastengeschichte – Teil 5: Licht und Dunkelheit 4



Wiedereinmal ist es lange her, seit der letzte Teil der Reihe online kam, doch das sollten wir ja mittlerweile alle gewöhnt sein ;) Auch in diesem Teil wird es (wie im letztem schon) in erster Linie um persönliche Erkenntnisse, spirituelle und übergeordnete Themen gehen und weniger um das Fasten und seine (körperlichen) Effekte an sich.


Mit staunenden Blicken folgen unsere Köpfe dem riesigen Vogelwesen, das mit ausgebreiteten Schwingen über uns hinweggleitet und einen großen Schatten über die Wiese wirft. Ich sitze mit meinem Mentor, der mir so vieles, was ich über den Schamanismus weiß, beigebracht hat, ohne den ich diesen Weg niemals so konkret gegangen wäre, damals, und der mir in so vielen schweren Momenten wieder aufhalf oder mich durch die Dunkelheit, hinter sie, in ein Licht der Erkenntnis, führte, auf einer weiten Sommerwiese.
Ich frage ihn welches Wesen wir hier bestaunen und er sagt nur knapp „Einen Seeadler“, selbst voll und ganz von der Kraft des Vogels eingenommen.
Erst jetzt erkenne ich den Vogel. Es ist tatsächlich ein Seeadler, es wäre mir selbst gar nicht aufgefallen. Aber er hat einen Drachenkopf. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitzschlag: Ein Drachenadler!
In dem Moment speit er mit tosendem Gebrüll Feuer und der Himmel vor ihm verwandelt sich in ein loderndes Flammenmeer. Wir spüren die Hitze, halten uns die Hände vors Gesicht und lachen, freuen uns wie kleine Kinder, ein großes Geheimnis offenbarte sich uns in diesem Moment.

In dem Moment, in dem der Schwarzstorch über mich flog, erinnerte ich mich an diesen Traum und der Moment währte scheinbar ewig, ergriff mich und kurz war der Storch viel mehr als das: er war der Drachenadler, der mir sagen wollte, wie dankbar ich sein sollte, sein Geheimnis offenbart zu bekommen.
Der Weißstorch als Krafttier ist ein Glückssymbol, ein Zeiger für das Neue, eine neue Chance, neues Glück, Zuwachs, Veränderung. Der Schwarzstorch dagegen hat eine dunklere Bedeutung, wird seit jeher als der Gegenspieler des Weißstorches betrachtet und mit dem Tod, Unglück und Verlust verbunden.

In vorchristlich-germanischer Zeit sah man den Schwarzstorch als einen der Begleiter Odins; ein im Schwedischen noch immer gebräuchlicher volkstümlicher Name ist Odensvala, Schwalbe des Odin.(Quelle)

Ich sah die Dunkelheit der Schwalbe Odins, als ich ihr am Himmel nachsah, sah, wie sie über dem nahen Wald verschwand, doch in keinster Weise sah ich in ihr Unglück oder Verlust. Sie war ein großes Geschenk für mich und ich erkannte die Dunkelheit erneut als Botschaft des Ertrunkenen.

Am Abend nachdem ich das Sandpainting aufgelöst hatte und auf die weiteren ‚Anweisungen‘ der Welt wartete, ob und was mit den beteiligten Steinen noch nötig war, bevor das Despacho endlich durchgeführt werden konnte, besuchte mich das Reh wieder; Als ich aus dem Fenster sah, stand es (oder ein anderes, wer weiß das schon so genau) auf der Wiese hinter dem Haus, nur ein paar Schritte entfernt von meinem Lieblingsplatz unter dem Kirschbaum, wo ich auch das Sandpainting gemacht hatte. Es war zusammen mit dem Feldhasen gekommen, der jetzt verträumt in den Sonnenuntergang zu blicken schien.
Es schien meinen Blick zu spüren, sah in meine Richtung, trabte dann ganz langsam in Richtung des Waldrandes und blieb auf halbem Weg zwischen den Bäumen stehen um noch einmal zurückzublicken. Dann verschwand es in der Dunkelheit des Unterholzes.
Ich nahm die beiden Steine für das Licht und die Dunkelheit in mir und folgte ihm.

Der Wald im Licht der untergehenden Sonne war anders als am Tag, aber immer noch war alles ähnlich, die gleichen Farben, die gleichen Geräusche, das gleiche Vogelgezwitscher. Für die Tiere war es noch immer Tag, so schien es, aber die Stimmung veränderte sich von Sekunde zu Sekunde. Der Mond war bereits sehr deutlich zu sehen, und mit einer ungreifbaren Ungeduld versuchte seine strahlende Sichel schon jetzt die drohende Dunkelheit zu vertreiben.

Nachdem ich ein wenig durch den Wald gegangen war, setzte ich mich auf eine Wegkreuzung, dort, wo ich schon einmal gewesen war, mit Blick auf das Baumportal, aber auf seiner anderen Seite. Ich war praktisch nicht hindurchgeschritten. Mittlerweile waren die beiden Bäume längst nicht mehr kahl. Warum es die Wegkreuzung war und nicht die Stelle selbst, an der das Reh gegrast hatte, kann ich nicht genau erklären, doch es erschien mir wichtig, für diesen Moment, dass es sich um eine Wegkreuzung handelte.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf die Geräusche und da erkannte ich, wie sehr ich mich zuvor getäuscht hatte: die Geräusche waren anders, in den Stimmen der Vögel konnte man hören, wie sie ihre letzte Kraft gaben, aber wussten, dass es jeden Moment vorbei sein würde, das Licht der Dunkelheit weichen würde.

Wir belegen die Dunkelheit immerzu mit etwas negativem. Erkennen wir bei der Nacht noch an, dass sie notwendig ist und verknüpfen sie mit etwas positivem, mit Schlaf und Regeneration, so tun wir das mit der Dunkelheit in all ihren Schattierungen in inneren Welten selten. Gefühle aus Dunkelheit geboren werden als negativ bezeichnet, diejenigen aus Licht als positiv. Trauer, Wut, Enttäuschung, Angst, sie alle werden unter den Teppich gekehrt, in krankhaften Dosen an den falschen Stellen, als Hass, Egoismus, Gier und Missgunst herausgelassen und mit Scham und Schande bedeckt. Eine Depression ist für uns nie der Weg ins Licht, sondern immer der Weg in die Verderbnis.
Dabei ist genau das der Fall; alles Dunkle existiert als notwendiger Ausgleich des Lichts, als Pol, Amplitude einer Schwingung, als notwendige Station zum entgegengesetzten Ausschlag der Schwingung.
Unsere Fehlkonditionierung geht soweit, dass wir selbst die Schwingung an sich als negativ betrachten. Wir möchten das Leben, die Welt, das Universum in eine Konstante pressen, in eine Nulllinie, immer heiter, immer fröhlich, immer hell, immer gut, immer warm, immer Liebe. Wir wollen nur die ‚positiven‘ Gefühle wahrnehmen und tritt einmal ein ’negatives‘ auf, bekämpfen wir es, versuchen die Schwingung zu ersticken, anstatt ihm Raum und auch Kontrolle zu geben und seine Botschaft übermitteln zu lassen, es zu leben, einzutauchen, es zu kanalisieren.
Diese Blindheit ist etwas, was mich immer schon an den Menschen gestört hat. Weinst du, bist du eine Memme, hast du Schmerzen, bist du schwach, hast du Angst, bist du feige, bist du traurig, musst du so schnell wie möglich wieder fröhlich oder abgelenkt werden. Werden Menschen mit ’negativen‘ Gefühlen anderer konfrontiert, dann packt sie eine tiefe, unterbewusste Angst davor, die selben Gefühle haben zu können, wollen das nicht wahrhaben, und wenden sich wieder dem Licht zu. Und jeder Künstler, der die Dunkelheit lebt, nutzt, kanalisiert, hat nichts weiter als ein psychisches Problem.

In dem Moment, in dem die Sonne komplett hinter dem Horizont versunken war, gab es einen Bruch im Wald. Auch wenn das Licht noch nicht komplett geschwunden war, so verstummten doch nach und nach in kürzester Zeit alle Vögel. Neue Geräusche erhoben sich, tiefere, dunklere, unheilvoll, und das liebliche Zwitschern der Singvögel wich einem Gemisch aus Rascheln, Quaken, und von irgendwo weiter weg ertönte eine Art Knurren.
Die Bewohner der Nachtseite des Lebens erwachten und würden den Wald die nächsten Stunden bevölkern.

Die Nachtseite des Lebens hat im Schamanismus eine große Bedeutung. Sie ist unweigerlich mit der Ganzheitlichkeit der Welt verknüpft und kann vom Schamanen im Allgemeinen besser wahrgenommen und interpretiert werden, als von einem… ja, was eigentlich? Normalen Menschen? Nicht-Schamanen? Gesunden Menschen? In der älteren Literatur wird diese Affinität, das Schamanendasein zwischen Licht und Dunkelheit und das sich-in-die-Dunkelheit-ziehen-lassen als Schamanenkrankheit bezeichnet. Schamanen werden in manchen Quellen als geistesgestört und schizophren abgeurteilt oder sie sehen den Schamanismus zumindest als „überwundene Geisteskrankheit, als Kompensation einer ‚ursprünglich lebensuntüchtigen Veranlagung'“ (Hier eine sehr schöne Quellenverarbeitung dazu).
Die Schamanenkrankheit entsteht mit Sicherheit aus einer Besonderheit im Geist des Schamanen, die wir in der heutigen Gesellschaft auch bei vielen psychiatrischen Krankheitsbildern finden können. Diese Tatsache geht meiner Meinung nach auf meine obigen Ausführungen zurück: wir haben Angst vor Schwingung; sie ist eine Kombination aus Veränderung und der Reise in die Dunkelheit. Wir haben Angst auf dieser Reise die Kontrolle und das Licht aus den Augen zu verlieren, uns zu verirren, nicht mehr nach Hause zu finden.

Das Knurren machte mir keine Angst. Ich war fasziniert davon, wie sehr sich die Welt in nur ein paar Minuten verändert hatte und wie sehr sie es weiter tat, Augenblick um Augenblick. Wie auf einer Spirale in die Dunkelheit fühlte ich mich, mitten im Wald. Wann würde es zu spät werden? Wann würde ich nichts mehr sehen können? Würde mich das Wild hier auf seinem Hohlweg akzeptieren?
Je dunkler es wurde, desto mulmiger wurde mir. Ich konnte die Angst aufsteigen fühlen. Nicht die Angst davor von einem Wildschwein angegriffen zu werden, die mir Menschen, denen ich von diesem Erlebnis (oder wenn ich mal wieder am Waldrand irgendwo mitten in der Pampa campte) erzählte, und die vielleicht noch niemals in ihrem Leben einen echten Wald (und nicht die Grünfläche hinter der nächsten Tanke) bei Nacht erlebt hatten, mit einem lapidaren „Wovor hast du da bitte Angst? Es gibt doch nichts gefährliches hier!“ abzusprechen versuchten, als wäre Angst eine rationale Entscheidung, schlimmer noch: als wäre sie etwas schlechtes. Doch noch war sie nicht an der Oberfläche. Ich fühlte mich gut und behütet. Und ich fühlte, dass Pachamama nach mir rief.

Um die Schwingung zu verhindern, sprechen wir von Bipolaren Störungen (Auch bekannt als manisch-depressive Erkrankung). Eine Art von psychiatrisch relevanten Stimmungsschwankungen, um es herunterzubrechen. Dabei möchte ich ganz klar darauf hinweisen, dass ich weder die Manie noch die Depression als psychiatrischen Untersuchungsgegenstand abwerten will oder dass ich behaupten möchte, dass es diese nicht gäbe. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir in den meisten Fällen, in denen wir dann auch viel zu schnell versuchen die Schwingung mit Psychopharmaka zu drücken, einen ungesunden Maßstab anlegen. Das sieht man ziemlich gut an den Kriterienkatalogen der einzelnen Episoden.
Ich denke, wir würden eine ‚manische Episode‘ viel weniger als krankhaft begreifen, wenn wir auch die zugehörige ‚depressive Episode‘ als normale Amplitude einer Schwingung anerkennen würden.
Ich selbst habe viele dieser ‚Diagnosen‘ schon gehört und mich in der Vergangenheit auch auf das Löschen der Schwingung mit Psychopharmaka eingelassen. Geholfen hat es kurzfristig, geheilt hat es nicht.
Ich frage mich immer, wieso der Mensch einfach nicht begreifen kann, dass er selbst und alles, was ihn umgibt, Schwingung ist. Manchmal habe ich das Gefühl, er würde am liebsten jede Schwingung in sich glätten. Alles glatt und konstant herunterbügeln. Keine Angst mehr. Immer die Kontrolle. Keine Veränderung. Der Mensch möchte sich von der Schwingung in seinem Inneren heilen, ohne zu verstehen, dass diese Heilung den Tod bedeutet: der Herzschlag als Nulllinie.

Ich selbst hatte die Dunkelheit ein wenig aus den Augen verloren, mich so sehr meinem Weg ins Licht und zur Sonne hingegeben, dass ich sie vergessen hatte. Ich war das erste Mal seit langem wieder nachts im Wald und konnte es richtig genießen, die Kraft der Dunkelheit schöpfen. Beide Handflächen hatte ich auf die langsam immer kälter werdende Erde gedrückt, vor mir lagen meine Steine, und ich spürte wie die Botschaft Pachamamas eine andere Qualität hatte, als sie das für gewöhnlich im Sonnenlicht hatte. Ihre Botschaft war eindeutig: Dunkelheit war Heilung. Sie wollte mich als Heiler zurück, wollte ihren Pampamesayok zurück, der ihr einst, vor Jahren nunmehr, das Versprechen gegeben hatte, immer da zu sein, wenn sie ihn zur Heilung rufen wollte.
Ich pfiff ein Lied, verband mich immer mehr mit dieser unbändigen Kraft unter mir, konnte ihren Herzschlag, die Schwingung ihrer Seele fühlen und sagte laut in die anbrechende Dunkelheit hinein, dass sie alles von mir haben könne, was sie brauche, ich sie heilen will und werde, so gut ich kann ihr Diener sein möchte.

Doch das Versprechen konnte nur halbherzig sein. Ja, in diesem Moment öffnete ich ihr mein Herz und meine Seele und alles, was an Heilung möglich war, floss durch mich in sie hinab. Durch mein Kronenchakra über mein Herz durch mein Wurzelchakra strömte das Licht des Sichelmondes hinab in ihr Herz aus pulsierender Dunkelheit und durch die im gleichen Rhythmus flackernden Bäume wieder zurück zu mir.
Aber Heiler sein, für die Menschen, so wie ich es einst versprochen hatte? Das konnte ich nicht, das wusste ich in dem Moment, vielleicht noch nicht, vielleicht nie – jedenfalls nicht in der Form, in der es die Szene gerne hätte.
Natürlich wurde ich seit meiner Initiation mit vielen, vielen Situationen konfrontiert, in denen ich mich als Heiler sah und setzte mein neu erworbenes Wissen und meine Gabe ein. Doch mit der Zeit breitete sich in mir eine Enttäuschung aus, eine Art von Resignation, die meinen Weg ein wenig verblassen ließ.
Die Menschen sind blind. Sie wollen ihre Gefühle nicht sehen, sie wollen eine Salbe, die sie draufschmieren können, damit wieder alles ‚gut‘ ist. Sie wollen sich nicht mit inneren Welten und Heilung beschäftigen. Sie wollen höher, schneller, weiter, an der Oberfläche bleiben, sich ihren Ängsten nicht stellen, happy, happy, happy, immer witzig, immer froh, mehr Geld, mehr Macht, mehr ‚positive‘ Gefühle. Wo soll die Heilung da ansetzen? Immer dann, wenn etwas passiert, was sie aus ihrer Bahn wirft, etwas (scheinbar) unvorhergesehenes, dann ist Heilung kurz möglich. Doch so schnell dieser Moment kam, so schnell ist er auch wieder vergangen, wenn das akute Gefühl der Befriedigung in alten Mustern steckenbleiben zu dürfen gewichen ist. Als Heiler hat mich das zermürbt und ich konnte dem nicht standhalten, fühlte mich hilflos, die Heilung war sinnlos, sie war nur ein Tropfen auf einem heißen Stein, nicht mehr als eine Spielerei für die Menschen, damit sie so schnell wie möglich wieder zurück an die Oberfläche tauchen konnten, während ich am Grund des Ozeans blieb, um für sie zu katalysieren, was sie mir dagelassen hatten. Die Angst, die tief unten, in der Dunkelheit ihrer Seele lauerte und sie rief, würden sie weiter ignorieren – bis zum nächsten großen Knall, um dann in einem unreflektierten Impuls, halbherzig, für eine Sekunde nur, der aufkommenden Angst vor dem Tod nachzugeben.
Vielleicht ist das auch das Schicksal aller Heiler, missbraucht zu werden als das Instrument der Symptombekämpfung, das ist gut möglich. Wer geht schon zum Arzt, wenn er keine Beschwerden hat? Aber die Heilung der Seele ist soviel komplizierter und tiefgehender, alltags- und lebensbestimmender, und wird doch so viel herablassender betrachtet, selbst von denjenigen, die dieser Heilung bedürfen.
Mir ist bewusst, dass nicht die Menschen, mögen sie noch so oberflächlich sein, daran Schuld haben, dass ich in mir als Heiler scheitere, und ich hoffe, der vorliegende Text wird nicht als Schuldzuweisung missverstanden. Mir kommen dabei mein Ego und einige meiner Themen in die Quere: ich fühle mich ausgenutzt, wertlos, missbraucht, nicht ernst genommen und unwichtig, einsam am Meeresgrund zurückgelassen. Während ich mein Innerstes in Aufruhr versetze um ein guter Katalysator zu sein, bekomme ich nichts zurück. Es besteht ein emotionales Ungleichgewicht und nicht selten werde ich nach der Heilung wieder weggestoßen, weil die Menschen in ihr altes, unemotionales, oberflächliches Dasein zurücktauchen, kein Interesse mehr an ihren inneren Welten, geschweige denn meinen, die ich im Moment der Heilung für sie öffnen musste, keinen Hauch an Dankbarkeit, denn das wäre ein Zugeständnis an sie selbst, dass es da irgendwo tief in Ihnen ein Gefühl, eine Angst, ein Trauma gab, für welches durch mich eine Transformationsprozess anstoßen werden konnte. Schnell den nächsten Punkt auf der To-Do-Liste des Lebens abhaken, schnell ein Kind kriegen, lieber alle Themen auf dieses übertragen, anstatt sich selbst damit auseinanderzusetzen, schnell eine neue Beziehung eingehen und die eigene Dunkelheit in Streit und Eifersucht kanalisieren, anstatt sie anzusehen und zu reflektieren, schnell sich in die Sklavenarbeit stürzen, Meetings, Präsentationen, wichtig, wichtig, um ja vor lauter Stress alles in seinem Inneren ausblenden zu können, schnell die nächste Reise machen und das Xte Selfie vor einer bekannten Sehenswürdigkeit posten, um vor lauter guter-Zeit-haben alles wegschieben zu können, was die Welt einem als Botschaft übermitteln möchte, schnell, schnell, schnell, ja keine Ruhe, ja kein freier Gedanke, die Schwingung töten.
Ich scheine nicht bereit zu sein für diese Art der Selbstlosigkeit, auch wenn dies letztlich vielleicht meine Aufgabe hier auf Erden sein mag, diese zu erlangen.

Ich empfand diesen Hass aus einer dunklen Stelle meines Herzens auf die Menschen, als ich dort im Mondlicht auf der Kreuzung saß und weinte ob meines Scheiterns. Ich fühlte mich wie ein Verräter, ich hatte mein Versprechen gebrochen und ich verstand, dass dieses Gefühl genau aus der gleichen Richtung kam, woher es auch bei meinem Vater kam, der alleine und verbittert in seinem Haus saß und alle Menschen hasste. Als Misanthrop wurde ich hin und wieder schon bezeichnet und wies das in meinem Inneren immer zurück, beleidigt davon, so missverstanden zu werden.
Ich mag Menschen. Ich mag ihre Gefühle, ihre Geschichten, ihre Herzen, wenn sie sich öffnen, ihre Ängste zulassen, reflektieren, darüber weinen, ich mag ihre Seelen, wie sie schimmern und leuchten, ihre Leidenschaften, ihre Träume, ihre Innenwelten und ihre Dunkelheit, und ich glaube daran, dass jeder Mensch im Herzen gut ist, dass alles Böse auf der Welt, was wir uns gegenseitig und der Welt selbst antun, einer falschen Kanalisierung unserer Ängste zugrunde liegt. Wir legen die Welt und andere Wesen in Dunkelheit, weil wir die Dunkelheit in uns selbst nicht heilen können, sie nicht beachten, nur das Licht sehen wollen. Doch der Weg ins Licht ist der Weg durch die Dunkelheit.

Ich sang für die Welt und für den Ertrunkenen, rief die Archetypen an, Schlange, Jaguar, Kolibri, Adler, Pachamama und Intitaita und bat sie um Heilung für dieses tiefe Loch aus Misstrauen den Menschen gegenüber, das ein starker Aspekt im Leben des Ertrunkenen gewesen sein musste und versprach, mich weiter mit der Manifestation dieser Lücke in meinem Leben zu beschäftigen, die noch fehlenden Seelenanteile diesbezüglich zu finden, zu integrieren und das Thema zu transformieren, bis ich eines Tages wieder guten Gewissens Heiler sein konnte und wollte. Denn trotz all der Enttäuschung vermisste ich es auch. Es war immer ein Teil von mir gewesen und würde es so oder so auch immer bleiben. Ich konnte es weiterhin als Fluch, als Krankheit, Schamanenkrankheit, begreifen oder daran arbeiten den Segen in seiner Tiefe herauszustellen und zu leben. Zwei Dinge zumindest wusste ich mit absoluter Sicherheit: Die Menschen würden sich nicht ändern und ich wollte nicht enden wie mein Vater.

Es war mittlerweile dunkel geworden und ich begann ein bisschen zu frieren. Der Strom des Energieaustauschs zwischen mir und der Erde ebbte langsam ab, bis er schließlich komplett versiegte. Still, dunkel und kalt lag der Wald um mich herum und die Nachtseite des Daseins hatte sich über uns beide gelegt. Ich blieb noch ein wenig sitzen, pfiff noch etwas und merkte, wie die Angst, die sich zuvor schon als mulmiges Gefühl angekündigt hatte, wieder ihre bleichen, hageren Finger nach mir ausstreckte, wie Spinnenbeine auf nackter Haut fühlte sie sich an.
Ich brach auf, ich hatte noch ein gutes Stück durch den Wald zurück zum Haus und wusste gar nicht so recht, ob ich nicht ein Problem bekommen würde, so komplett ohne Licht. Doch das Licht des Sichelmondes und der Sterne reichte aus, um die Schemen der Bäume und Wege noch einigermaßen zu erkennen, zumindest auf den Wegen, die nicht direkt durch den Wald führten.

Ich wusste, ich war nicht mehr weit vom Haus entfernt, da musste ich auf einen solchen Weg durch das Dickicht abbiegen, auf dem ich meine Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte, und ich bewegte mich im Schneckentempo, mit fuchtelnden Armen und tastenden Füßen durch die Dunkelheit. Von beiden Seiten des Wegrandes hörte ich Geräusche, ein Rascheln hier, ein Knacken dort, dann plötzlich aufgeregtes Hufgetrappel. Mein Herz setzte einen Schlag aus und mein Atem ging schnell. Ich blieb stehen. Neben mir waren Rehe, glaubte ich zu spüren, oder war da noch etwas anderes? Es könnte alles mögliche sein. Sie sahen mich an, aus genügender Entfernung und immer, wenn ich wieder ein Schritt vorwärts tat, hörte ich sie erneut davonstieben und mein Herz tat wieder einen Satz. Tränen stiegen mir in die Augen und die Angst, die mit ihren Spinnenbeinen über meinen Rücken zu krabbeln schien, bescherte mir Gänsehaut am ganzen Körper. Nichts an ihr war rational, ich wusste, dass mir keine Gefahr drohte und trotzdem reicherte sich in mir etwas an. Ein Gefühl, das ganz langsam, Tropfen für Tropfen zu einer Panik heranwuchs. Eine Stimme meldete sich in meinem Kopf, die Angst verachtend und sie flüsterte hämisch, belustigt:
„Wovor hast du Angst? Du Memme! Hier gibt es nichts, was dir etwas tun könnte! Ignorier die Angst, Angst ist schlecht, Angst macht dich schwach, Angst ist etwas für Weicheier!“

Mit der Dunkelheit kommt die Angst. Vor dem Unbekannten, vor dem, was wir nicht sehen, erkennen oder begreifen können. Und wir glauben, dass es schlecht sei, diese Angst zu empfinden, dass es richtig und heilsam sei, immer einen weiten Bogen um sie zu machen. Ich glaube, das genaue Gegenteil ist der Fall: suche die Angst, lass sie zu, leg dich rein und fühle sie, erforsche sie. Natürlich spreche ich nicht von Extremsituationen, die – ob künstlich herbeigeführt oder nicht – es auszureizen gilt. In vielen Situationen ist Angst sinnvoll und gut und unnötiger Stress sich ihr zu oft und zu inbrünstig auszusetzen. Jeden Tag einen Fallschirmsprung zu machen, um sich lebendig zu fühlen, ist NICHT das, wovon ich spreche, falls das unklar gewesen sein sollte.
Die Angst in und vor der Dunkelheit aber halte ich für eine riesengroße Chance, da ich glaube, dass sie verknüpft ist mit den Ängsten tief in uns, die ebenso in Dunkelheit gehüllt sind. Die Dunkelheit triggert unsere mit Lebensthemen verknüpften Ängste (nein, leider habe ich dafür keine wissenschaftlichen Quellen, es tut mir unheimlich leid).

Die Panik war da. Sie brach über mich herein wie ein kalter Schauer, durchnässte mich von Kopf bis Fuß und hüllte mich in wabernden, dichten, kalten Nebel und mit einem Mal bekam ich keine Luft mehr – glaubte ich zumindest. Mit rasendem Herzen und rasselndem Atem fand ich mich am Grund des Ozeans wieder, der Wald war weg und ich wusste, jede Sekunde würde ich sterben, ertrinken, so wie es meinem Vorleben einst ergangen war, um das es sich hier drehen sollte. Der Ertrunkene schrie mit seinen letzten Atemzügen lautlos seinen Hass auf die Menschen in die Dunkelheit des Meeres, eine letzte Hoffnung in seinen Augen glimmend. Sie trotz allem noch lieben zu können, all jene, die ihm das angetan hatten, die ihn alleine gelassen hatten, konnte er sie doch verstehen, wusste er doch, dass er dieses Schicksal verdient hatte. Trotzdem hasste er sie weiter und immer weiter, ihre Unfähigkeit ihre eigene Dunkelheit und letztlich auch seine sehen und verstehen zu können, bis seine Seele schließlich in glühender Wut unter der stillen Oberfläche der See verbrannte.
Ich rannte. Neben mir ertönten immer wieder die Hufe der Rehe und Hirsche, die mit mir rannten. Oder von mir weg oder auf mich zu? Sie wollten mich angreifen, da war ich mir sicher. Ich musste schneller rennen und so stolperte ich über den Waldweg, dessen Beschaffenheit ich kaum erkennen konnte, nur noch mit dem Rauschen meines Blutes und dem Pochen meines Herzschlags im Ohr, und brach schließlich durch den Waldrand und stand auf der großen Wiese, nur 50 Meter vom Haus entfernt.
Vor mir standen drei Rehe und sahen mich mit großen, sanften Augen an. Dann galoppierten sie einmal komplett über die Wiese und machten einen langen Bogen. Es schien als würden sie für mich tanzen. Dann verschwanden sie im Wald und mit ihnen die Angst.

Das Licht hatte mich in den Wald der Wandlung geführt und die Dunkelheit in die Heilung, doch der Ertrunkene war noch da und würde es vermutlich immer bleiben, in der Dunkelheit meiner eigenen Tiefe. Trotzdem wusste ich in dem Moment, dass das Despacho für ihn eine wichtige Station in seinem Transformationsprozess sein würde. Für mich würde es wichtig sein, um besser zu verstehen und anzustoßen, in welcher Form ich eines Tages vielleicht über all die Unzulänglichkeiten der Menschen hinwegsehen könnte und doch noch Heiler sein könnte.

~ Fortsetzung folgt ~


Zu den anderen Teilen der Fastengeschichte geht es hier:
Teil 1: Eine Fastengeschichte – Große Erwartungen
Teil 2: Eine Fastengeschichte – Im Wald der Wandlung
Teil 3: Eine Fastengeschichte – Stille
Teil 4: Eine Fastengeschichte – Lebendige Steine
Teil 5: Eine Fastengeschichte – Licht und Dunkelheit
Teil 6: Fastentagebuch 2016 – Das Despacho (In Arbeit)
Teil 7: Fastentagebuch 2016 – Chaos und Ordnung (In Arbeit)
Teil 8: Fastentagebuch 2016 – Retrospektive (In Arbeit)

Zu meinen Fastenhistorien:
Teil 1: Fastenhistorie 2012
Teil 2: Fastenhistorie 2013
Teil 3: Fastenhistorie 2014
Teil 4: Fastenhistorie 2015 – Teil 1
Teil 5: Fastenhistorie 2015 – Teil 2 (In Arbeit)
Teil 6: Fastenhistorie 2016 (In Arbeit)
Teil 7: Fastenhistorie 2017 – Teil 1 (In Arbeit)
Teil 8: Fastenhistorie 2017 – Teil 2: Trockenfasten (In Arbeit)
Teil 9: Fastenhistorie 2018 (In Arbeit)
Teil 10: Fastenhistorie 2019: 28 Tage Fasten (In Arbeit)

Fastentheorie:
Teil 1: Fastentheorie
Teil 2: Fasten und Sauna



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4 Gedanken zu “Eine Fastengeschichte – Teil 5: Licht und Dunkelheit