Die Wiese der Erlösung (Teil 2) 4


Ich bin mir unsicher, aber ich denke, es gab in der Vergangenheit dieses Blogs noch nie so schnell einen zweiten Teil einer Geschichte ;). Teil 1 gibt es hier: Die Wiese der Erlösung (Teil 1).


Nachdem ich mich von der Frau im Wald verabschiedet hatte, fuhr ich den restlichen Weg zu meiner Familie. Währenddessen machte ich mir meine Gedanken zur Synchronizität an sich und der Name der Wiese war sehr präsent. Mir gefallen solche Namen allerdings besser, wenn sie als Genitiv-Konstruktionen und nicht als Determinativ-Komposita ausgedrückt werden. Also Wiese der Erlösung anstatt Erlösungswiese. Das ist semantisch betrachtet NICHT unbedingt das gleiche! Hier wäre es jedoch eine mögliche Paraphrasierung und würde wahrscheinlich jeden Linguistik-Professor zufriedenstellen. Und ich sehe das als eine Art eigenen Anteil an der Geschichte.

Ich erzählte meinen Eltern natürlich die Geschichte. Wir saßen gerade im Garten, tranken einen Kaffee und warteten auf die Freigabe des Grills, um diesen schönen Tag sommerlich zu würdigen. Die Katzen liefen gelangweilt herum, doch das änderte sich, als sie das Eichhörnchen auf dem riesigen Holunder entdeckten. Zumindest eine von beiden fühlte ihren Jagdinstinkt hochkochen und versuchte immer wieder den Stamm hochzuklettern. Das Eichhörnchen wollte an die Nüsse, die meine Mum ihm auf die Mauer gelegt hatte, doch die Katze lauerte. Immer wieder jedoch wagte es einen neuen Vorstoß, als würde es erwarten plötzlich unsichtbar zu sein.

Gerade als ich den Namen Erlösungswiese aussprach, während ich die Geschichte, immer wieder vom Katzen-Eichhörnchen-Schauspiel unterbrochen, weitererzählte, da hatte sich das Nagetier auf die Mauer gewagt. Unsere Katze sprang und ich bin mir sicher, es berührte es kurz. Das Eichhörnchen fiel im Garten zu Boden, kreischte und machte einen riesigen Satz auf den Holunder. In der Krone blieb es, blickte hinab zur Katze, die sich nur bis zur ersten Astgabel gewagt hatte, und schimpfte. Ich denke, das war knapp.

Eichhörnchen

Auf der Fahrt nach Hause war der Name der Wiese immer noch sehr präsent. Ich hänge solchen Geschichten lange nach, was vermutlich auch der Grund dafür ist, dass ich sie gern aufschreibe, ausführe und ausformuliere.

Gerade nach Hause gekommen, wollte ich einer Freundin davon erzählen – doch mir fiel der Name nicht mehr ein. Ich grübelte und grübelte, doch alles, was mir immer wieder einfiel, war das Wort Vergebung. Doch das war es nicht. Ich zweifelte an meinem Verstand, eben hatte ich es doch noch gewusst!

Ich setzte mich an den Rechner und googelte, vielleicht könnte ich den Namen unter den Informationen des Waldes irgendwo finden. Ich fand die Wiese, ihr „offizieller“ Name war wohl 16er Wiese. Ich fand dafür keine Erklärung und keine Alternativen. Auf allen Karten hatte die Wiese entweder diesen Namen oder gar keine Bezeichnung.
Ich fing sogar an in Synonymlexika nach Synonymen für Vergebung zu suchen, wurde aber nicht fündig. Die semantische Relation zwischen Vergebung und Erlösung ist zwar durchaus gegeben, doch ich fand es einfach nicht.

Ich ließ es auf sich beruhen. Wir kennen ja diese Momente alle, in denen uns ein Wort einfach nicht einfällt. Also dachte ich, es würde schon wieder zu mir kommen.

Es vergingen ein paar Tage. Ich dachte jeden Tag über den Namen nach, aber kam nicht drauf. Bis folgendes passierte:

Ich stand vor meiner Haustür, sperrte mein Fahrrad auf, und eine meiner Nachbarinnen kam vorbei. Sie hatte ihre Katze im Schlepptau, wie so oft, und wollte, dass sie mit reinkommt. Diese war wie immer misstrauisch, war aber kurz davor reinzukommen. Doch dann sah sie etwas, verschwand hinter einem parkenden Auto und starrte in die Bäume.
Meine Nachbarin sagte: „Sie hat ein Eichhörnchen entdeckt und will das jetzt fangen!“

In diesem Moment fiel es mir ein: Erlösungswiese.


Dieser Teil der Geschichte ist zum einen Morphogeschichte (wie oft seht ihr Katzen Eichhörnchen jagen? Für mich war es in unserem Garten ein paar Tage zuvor das erste Mal) und zum Anderen eine sehr eindrucksvolle Demonstration eines kognitiven Mechanismus‘:

Der Moment Eichhörnchenjagende Katze und das Wort Erlösungswiese wurden im neuronalen Netz miteinander verknüpft, weil es für mich etwas besonderes war, dies in unserem Garten beobachten zu können. Die Verknüpfung fand statt, weil es zwei starke Erregungsleitungen im gleichen Moment gab. Als es wieder passierte, feuerte auch das Neuron(-engeflecht), dass an dem Wort Erlösungswiese gekoppelt ist. Ich finde das unheimlich spannend, da es nichts mit Verstand und Intelligenz oder Sprachempfinden, ja nicht mal direkt mit Erinnerung zu tun hat. Eigentlich am ehesten mit Lernen – doch braucht es dafür normalerweise mehrere Wiederholungen, weil eine nicht wiederholte Erregungskombination im Normalfall zu keiner Verknüpfung führt.

Dieser Mechanismus der neuronalen Verknüpfung wird – um ein anderes Thema anzureißen – nicht nur in unserem Gehirn genutzt, sondern in ganzen Körper. Es gibt ein Neuronengeflechte im Bauchbereich, der Solarplexus, welches einen ähnlichen Wirkmechanismus besitzt. Zudem wird das Prinzip in jeder oft wiederholten Bewegung und bei Reflexen, die wir gern als „rein körperlich“ abtrennen wollen, angewandt.

Wenn ich noch weiter ausholen wollen würde, würde ich mit künstlicher Intelligenz oder Computerlinguistik anfangen. Beide Gebiete können vom Einsatz künstlicher neuronaler Netze profitieren. Wir sind nur noch lange nicht in der Lage die Möglichkeiten echter neuronaler Netze zu kopieren geschweige denn sie vollumfänglich zu verstehen. Ganz so roboterhaft, wie man es hier herauslesen könnte, funktioniert es dann eben doch nicht.


[related_post themes=“flat“]


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4 Gedanken zu “Die Wiese der Erlösung (Teil 2)

  • Max

    Also in der Uni wurde uns auch immer gesagt, wir sollen beim Lernen den Stoff mit etwas anderem verknüpfen um das Gedächtnis zu unterstützen. Kann ich Dich fragen wo Du das her hast : „weil eine nicht wiederholte Erregungskombination im Normalfall zu keiner Verknüpfung führt. “ ?

    Tolle Geschichte, hat mir gut gefallen.

    • Alex Autor des Beitrags

      Max, danke für deinen Kommentar =)
      Ich hatte in meinem Studium an zwei Stellen Berührung mit der Konzeption von Neuronalen Netzen:

      – zum einen in einem Hauptseminar Linguistik, in dem es um die Lernmechanismen von Sprachen ging. Dort hielt ich ein Referat über die möglichen Zusammenhänge zwischen Sprach-Kognition und dem Konzept der Neuronalen Netze.
      – zum anderen in einem Hauptseminar Computerlinguistik, in dem Neuronale Netze als Alternativ-Möglichkeiten zu logischen Programmiersprachen beim Wortschatz- und Grammatikaufbau betrachtet wurden.

      An beiden Stellen wurde eines der Grundprinzipen des Systems klar: Starke Verbindungen zwischen den einzelnen Neuronen werden additiv durch Wiederholung gestärkt. Eine einzelne Wiederholung kann in der Theorie (im Normalfall, der sich auf die durchschnittliche Stärke eines Reizes bezieht) keine ausreichend starke Assoziation auslösen, da da wir sonst praktisch kein Failsafe für ungerichtete Koninzidenzen hätten. Dieser Failsafe besteht in einer Erregungsleitung, die mindestens erreicht werden muss, damit eine Verbindung überhaupt erst als gerichtet anerkannt wird (Dabei wird die aktuelle Verbindung zwischen den Neuronen bereits mitbetrachtet). Das Gehirn würde ständig alle möglichen Dinge miteinander Verknüpfen, die nur zufällig gleichzeitig Reize auslösen – Das passiert auch, doch sind diese Reize aufgrund der Wahrnehmungsfilterung (wenn man nicht hochsensibel ist, darüber wollte ich demnächst was schreiben) zu schwach und benötigen deswegen Wiederholung (aka Lernen). Bei Traumata oder eben sehr starken gleichzeitigen (womöglich isolierten?) Reizen, ist dann eben entsprechend weniger Wiederholung nötig, das halte ich aber für Ausnahmen.

  • Rasmess

    Auf mich wirkt die Konstruktion „Wiese der Erlösung“ im Vergleich zu der „Erlösungswiese“ deutlich einladender. Ich empfinde Komposita als künstlich, ohne Gleichgewicht und mit weniger Gehalt. Wer weiß, wie mein Sprachempfinden vernetzt ist. Spannender Artikel.

    • Alex Autor des Beitrags

      Die Semantik von Komposita ist so ein weitläufiges und spannendes Thema. Und dieser Unterschied, den du ansprichst, genauer zu betrachten, könnte wahrscheinlich Thema einer Masterarbeit sein ;) Grundsätzlich stimme ich dir bei dieser Empfindung aber zu!