Die Majestätische Verrücktheit | Psychonautik 6


Beltane

Fabian und ich saßen am Rand der Lichtung, den Wald im Rücken, vor uns die wilde Frühlingswiese. Die Sonne brannte auf uns herunter und der zunehmende Viertelmond stand deutlich sichtbar am wolkenlosen, blauen Himmel. Vor ein paar Tagen noch hatte Fabian einen Schneemann gebaut und mich gefragt, ob wir das auf diesem Trip auch tun würden. Bestimmt nicht, dachte ich wieder amüsiert, und schmolz in der Hitze dahin.
Es war der Tag vor Beltane. In wenigen Stunden würden sich die Tore zur Welt der Fee und Elfen öffnen, das Chaos zum Beginn des Frühlings anfangen, die wilde Energie der Vereinigung und Liebe die Welt einhüllen. Der Zeitpunkt hätte kaum besser getimt sein können für unser Vorhaben.
Das sah auch Talgo so, der uns begleitet hatte, kurz im Wald verschwunden war, während wir uns einstimmten und mit zwei kleinen Schüsseln wieder zurückkam.
Er stellte eine vor mich und eine vor Fabian und sagte, mir zugewandt: „Für dich: Psilocybe Tampanensis, die Majestätische Verrücktheit„.
Dann sah er zu Fabian und grinste. „Dich ruft heute der Drache, ist das ok? Psilocybe Pajateros.“
Wir nickten beide. Für Fabian war es das erste Mal und ich war sehr glücklich darüber, ihn auf seiner ersten Reise begleiten zu dürfen. Ich hatte das zwar schon zuvor gemacht, wusste aber trotzdem nicht genau, wie gut ich mich von den Wellen Mama Psilos tragen lassen können würde, denn wenn ich das Gefühl hatte, auf jemanden aufpassen zu müssen, nahm sich mein Geist normalerweise selbst raus. Doch ich ahnte, dass es heute anders sein würde, denn wenn ich jemandem zutraute selbst auf seinem Jungfernflug die Kontrolle behalten zu können, dann war es Fabian. Sein Weltbild entsprach so oder so schon dem eines Psychonauten und zusätzlich hatten uns so viele Zufälle, Synchronizitäten zu diesem Moment geführt. Es war Bestimmung und viel mehr als nur ein Trip, was uns hier und heute miteinander verbinden sollte.

Ich bereitete mein großes Mesa-Tuch vor mir aus und legte all meine Ritualgegenstände ab, für alle Eventualitäten, meine Indianerflöte, Rasseln, Palo Santo, Agua. Dann stand ich auf, ging ein paar Schritte auf die Lichtung und begann die Reise, indem ich den heiligen Raum öffnete, rasselte, und die Archetypen und Strömungen der Welt anrief und um ihren Schutz und ihre Führung bat. Schlange, Jaguar, Kolibri, Adler, Mutter Erde und Vater Sonne. Der große Spirit sollte uns leiten und beschützen und uns seine Botschaft geben.

Ich setzte mich wieder und wir versanken in uns, schwammen raus. Noch war der See ruhig.

Wächter des Waldes

Als ich die Augen öffnete, sah ich einen Eichelhäher auf der anderen Seite der Lichtung im Baum sitzen. Als Wächter des Waldes wacht das Krafttier Eichelhäher nämlich auch über den Wald Ihrer inneren Welt. Wollen Sie diesen Wald betreten, müssen Sie am Eichelhäher vorbei und ihn um Erlaubnis bitten, den Wald zu betreten heißt es bei seiner Beschreibung als Krafttier, doch ich dachte darüber nicht nach, ich freute mich einfach, dass er sich mir gezeigt hatte und in diesem Moment begann die erste Welle.

Die Sonne brannte auf uns herab und plötzlich war mir alles zu hell. Zu hell, zu hell, zu hell, zu viel Licht, was machte ich im Licht, ich gehörte nicht ins Licht. Mir wurde schlecht und alles drehte sich. Übelkeit? Das war neu. War es zu viel gewesen? War die Botschaft Mama Psilos zu schmerzhaft? Konnte ich sie nicht ertragen? Sie blendete mich und zwang mich zu gehen. Und da kamen die Zweifel. Wie ging es Fabian? Mir durfte nicht schlecht werden! Ich musste auf ihn aufpassen! Aber hier und jetzt wollte ich nur weg. Weg von ihm, weg vom Licht, schlafen, ruhen, kotzen, was weiß ich, nur weg. Verzweifeln. Vielleicht verrückt werden.

Ich ging aus der Sonne und setze mich einige Meter weiter an den Waldrand in den Schatten. Doch ich blickte nicht auf die Lichtung sondern in den Wald. Hier gehörte ich her. Ich wandte Fabian den Rücken zu und fühlte mich so schlecht. Doch es war richtig so. Ich hatte es nicht verdient im Licht, bei ihm zu sitzen.
Meine Sicht verschwamm, alles veränderte sich. Noch nie hatte ich so starke visuelle Effekte gehabt. Alles atmete. Ich starrte auf die Baumgerippe, die am Waldrand standen und sie veränderten sich, bewegten sich und lockten mich. Es waren keine Bäume mehr, es waren Waldschrate, Zwerge, Wichtel, die da standen und wankten und sie waren die wahren Wächter des Waldes. Ich hatte sie schon einmal getroffen, das letzte Mal als ich Mama Psilo begegnete. Doch diesmal fühlten sie sich an wie meine Familie, meine verlorenen Ahnen. Ich musste mich entscheiden, zurück ins Licht oder weiter in die Dunkelheit, zu meinen Wurzeln?
„Ich komme zu euch“, dachte ich und wankte durch sie hindurch in den Wald. Meter für Meter schleppte ich mich weiter, bis ich im Moos sitzenblieb. Wieder, wie ich es bereits kannte, zwang mich der Pilz in den Wachtraum, in die Welt zwischen Wachen und Schlafen. Ich nickte weg, und einen Moment später war ich wieder in der Realität. Mein Bewusstseinszustand wechselte im Sekundentakt.

Ich hasste es. Ich hasste mich. Ich hasste den Pilz. Mir war schlecht. Ich wollte nur noch kotzen. Aufgeben. Mir die Ohren zuhalten. Und die Augen. Die Botschaft mit einem lauten Singen übertönen. Die Botschaft der Dunkelheit. Ich wollte nur noch, dass es vorbei ist und ich war kurz davor. Beugte mich über das Moos, halb schlafend, und wollte den Pilz einfach wieder auskotzen. Lass mich in Ruhe mit deiner ewigen Dunkelheit! Warum tust du mir das an?
Da tauchte ich auf. Kurz. Und alles war klar. Was tat ich hier? Ich war nicht allein. Ich hatte Verantwortung. Ich war nicht nur Reisender, ich war auch Schamane. Du egoistisches Arschloch! Es tat mir so leid und ich weinte ob meiner Rücksichtslosigkeit.

Entscheidung und Rückkehr

Ich hatte mich entschieden, die Übelkeit schwand, genauso wie die Enttäuschung und die Dunkelheit und plötzlich wusste ich: ich wollte zurück zu meinem Schützling, ihm danken, für sein Sein, für ihn da sein, zurück ins Licht und schwimmen und tauchen.

Ich setzte mich neben Fabian und entschuldigte mich. Ich weiß nicht, ob er verstand, was genau ich meinte und ich weiß auch nicht, ob sich die Wellen unserer Trips schon synchronisiert hatten, aber es schien, dass wir beide kurz klar waren und wir tauschten uns kurz aus. Ich wollte, dass er das Gefühl hatte, dass ich da war. Aber ich verstand auch, dass es um das Gefühl in mir ging und er sich vielleicht gar nicht alleingelassen fühlte. Ich dachte daran, wie gut alles zusammengepasst hatte, wie spontan wir diesen Termin gefunden hatten und ich war so dankbar, in diesem Moment, ihn hier an meiner Seite zu haben, als meinen Schamanen.

Ich legte mich bäuchlings ins Gras, nur die Arme auf der Isomatte, auf der Fabian noch saß und er fragte: „Willst du vielleicht ganz auf die Matte kommen?“ Ich konnte nur lachen und den Kopf schütteln. Ich wollte im Gras liegen, voll und ganz, also robbte ich noch ein Stück weiter auf die Lichtung.

Der Babygrashüpfer

Die nächste Welle kam und ich versank im Gras. Die Übelkeit war verschwunden, mit meiner Entscheidung für das Licht fortgeweht worden und ich empfand nur noch Liebe und Licht. Etwas neues kam dazu: das Gefühl des Lebens in seinem ursprünglichen Kern. Sein, was immer die Welt mir für eine Rolle zugedacht hatte. Mein Sein verschob sich und mit einem Mal war ich ein Grashüpfer, frisch geschlüpft, noch in seinem Kokon (ich habe keine Ahnung, wie der Lebenszyklus eines Grashüpfers tatsächlich aussieht), schleimig, sich unter Qualen aber voller Vorfreude und Liebe zum Leben befreiend, glücklich darüber endlich leben zu dürfen, Teil des großen Ganzen zu sein, so dankbar.
Und ich weinte ob des Glücks, jetzt und hier als Grashüpfer geboren werden zu dürfen.

Wir sind die Vögel

Wieder tauchte ich kurz auf, sah zu Fabian und lachte über diese abgefahrene Erfahrung.
Ich schwieg kurz, sagte dann: „Ich bin kein guter Schamane, oder?“
Ich zweifelte an mir. War ich hier zu sehr in meinem Trip, zu sehr in meiner Erfahrung, sollte ich nicht irgendetwas machen? Rasseln, Pomp, ein ’normaler‘ Schamane würde jetzt einen Tanz aufführen, Rituale machen, Räuchern, so tun, als wisse er ganz genau, was auf ihn und seinen Schützling zukommen würde. Aber würde das denn wirklich mehr als ein Vorgeben sein? Oder traute ich mich nur nicht?
„Quatsch. Du verbringst deine freie Zeit hier, in der Natur, verbindest dich mit der Welt, führst mich dabei mit dir, wie könnte man ein besserer Schamane sein?“
Ich merkte, dass Fabian nicht genau verstand, was ich meinte und ich schob den Gedanken weg. Ich war zwar Heiler, aber ich ‚arbeitete‘ nun mal anders. Eigentlich war ich der Meinung, dass jemand, der von sich selbst behauptet Schamane zu sein, ganz bestimmt keiner ist. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass es auch darum ging, dass ich mich nicht traute, die Rolle des Schamanen auszuleben.

Die letzte Welle trieb mich noch über die Oberfläche des Lebens, da kam ein Mann aus dem Wald und auf uns zu. Er hielt einen Eimer in der Hand. Ich begriff es nicht richtig, war zu sehr am Schwimmen. Er grinste. Ein paar Meter vor uns blieb er auf der Lichtung stehen, griff in den Eimer und warf Körner über die Lichtung. Ohne noch ein Wort zu sagen, ging er wieder und verschwand im Wald.
Wir lachten. Was zur Hölle war gerade passiert? Hatten wir das beide gesehen? Wer kommt denn sonntags mitten im Wald auf eine Lichtung um eine handvoll Körner zu verteilen? Wir vergewisserten uns, ob wir das beide gesehen hatten und lachten. Noch nie hatte ich auf Pilzen einen solchen Lachflash gehabt, empfand ihn immer als unangebracht, wollte tief in die dunkelsten Winkel meiner Seele tauchen und nicht diesen profanen Lachflash haben, von dem immer alle Party-Konsumenten schwärmten. Aber hier und jetzt, mit der Absurdität der Situation, ging ich voll und ganz im Lachen auf.

Wir tauchten auf. Gingen zu den Körnern und redeten. Die Wiese war voller Brennnesseln und es war mir egal. Ich sagte: „Die Körner sind für uns. WIR sind die Vögel!“ und wir aßen ein paar. Sie schmeckten scheußlich. Fabian sagte, bei ihm wäre der Trip vorbei und ich musste lachen: „Unterschätze den Pilz nicht, er kommt und geht in Wellen!“ und ich wusste, der Höhepunkt würde erst noch kommen. Ich konnte die nächste Welle schon fühlen und ich freute mich so sehr darauf, die nächste Erfahrung der Welt mit ihr zu teilen.

Alles darf durch mich hindurch leben, schwingen, atmen, fließen, sein

Welle. Zeitsprung. Untertauchen. Was war passiert?

Fabian ist weg, geht seinen Weg, reagiert auf seine Botschaften und ich liege auf dem Rücken, oberkörperfrei, mit ausgebreiteten Armen mitten auf der Lichtung, mitten in den Brennnesseln. Die Sonne brennt auf mich herab und ich sehe alles in den schönsten Regenbogenfarben. Die visuellen Effekte werden immer stärker und ich starre auf den Mond. Seine Sichel ist verkehrtrum, ich sehe ihn spiegelverkehrt, als wäre ich auf der anderen Seite, nicht auf der Erde, sondern auf einem Planeten, der auf der anderen Seite des Mondes liegt. Die ganze Welt ist in kleine Waben eingeteilt, die in Regenbogenfarben schillern, Muster wie beim Blick durch ein Kaleidoskop. Mama Psilo hat mich losgelassen, jetzt tauche ich mit Mama Kilja, Großmutter Mond. Ich sehe die Krater auf ihr, sehe den Gesteinsbrocken, den wir als Mond bezeichnen und ihre Seele. Der Brocken ist ein Symbol, er ist nicht echt, er ist das Licht der Weiblichkeit in uns selbst.
Ich kann mich nicht bewegen, nicht blinzeln, weine, die Tränen rinnen an meinen Schläfen hinab, es ist mir egal, selbst wenn ich mich nie wieder bewegen können werde, ich bin eins mit der Welt, eins mit den Brennnesseln, die meinen Rücken und meine Arme verbrennen, eins mit Vater Sonne, der mein Gesicht verbrennt, eins mit den Wiesenspinnen, die über mich krabbeln, mich als Teil ihrer Welt begreifen. Aus dem Augenwinkel registriere ich sie, wie sie über meine Arme und meine Brust krabbeln, fingernagelgroß, wissend: von mir geliebt.
Alles, was ist, darf durch mich hindurch leben, schwingen, atmen, fließen, sein.
„Nimm mich auf, ich gehöre dir. Zehr mich auf, ich heile dich. Verleib mich dir ein, ich bin Teil von dir“, murmle ich immer und immer wieder, starr, weinend, liebend, bin voller Dankbarkeit sein zu dürfen, Teil sein zu dürfen, lieben zu dürfen.
Mein Solar-Plexus dreht durch. Ich bin so verliebt in die Welt in diesem Moment, dass sich alles in mir zusammenzieht.

Die Majestätische Verrücktheit

Ich muss lachen. Käme jetzt der Vogelfütterer von vorhin, er würde mich nicht sehen und die Körner über mich streuen. Ich bin nicht der Vogel, für den die Körner waren! Ich bin das Vogelfutter selbst!
Plötzlich höre ich Flötentöne, von weit her. Ich weiß, dass Fabian spielt, doch ich weiß auch, dass ich selbst spiele. Ich weiß, ich sitze am Waldrand und spiele, während ich glaube auf der Wiese zu liegen. So muss es sich anfühlen verrückt zu sein. Ich bin verrückt. Gespalten. Ich bin alleine hier! Gibt es Fabian überhaupt? Ich bin alleine auf diese Lichtung gegangen, oder? Ich lache. Ich bin gar nicht hier. Ich sitze in der Klapse und bin in meiner eigenen Welt, nur in meinem Kopf. Oh wie majestätisch diese Verrücktheit ist, so echt, so greifbar, so wahr, eine einzige Illusion im Meer aus Wahrheit, eine einzige Wahrheit im Meer aus Illusion, manifestierte Materie aus einem Code am Rande des Universums, nur Symbole, nur Energie, nur Information, verrückt, nicht verrückt, verrückt, nicht verrückt, verrückt, nicht verrückt, verrückt, nicht verrückt, egal, unwichtig, nicht definierbar.

Ich richte mich auf und bewege mich zu den Flötentönen, bin die Schlange, die sich selbst in der Gestalt von Fabian beschwören will, Satchamama, die alles verschlingt und sich dann häutet, alles abstreift, jede Verletzung, jede Wunde zu alter Haut transformiert, sie liegenlässt, auf dass sie von der Welt wieder aufgenommen wird, zurückgegeben wird. Eine tanzende Schlange im Mondlicht. Ein Bild, das mich ein weiteres Mal zum Weinen bringt.

Der Ruf der Brennnessel

Ich tauche kurz auf, Fabian sagt etwas von einem Ton, den er sich nicht erklären kann. Fabian hasst Flöten. Dass er sie trotzdem spielt, beeindruckt mich. Ich klatsche auf meinen Bauch und sage: „Das ist der Ton der Erde“, und lege mich wieder in die Wiese, diesmal auf den Bauch, und wieder in die Brennnesseln. Fabian spielt weiter den Ton der Erde und ich robbe über die Wiese. Die Brennnessel ruft mich, will mich heilen und ich hinterfrage ihren Ruf nicht, küsse sie, streichle sie, lasse sie mich verbrennen.
Sie will mir nicht schaden. Wir sind eins und ich verstehe, dass sie missverstanden wird. Sie will sich schützen, aber niemandem schaden. Wenn man ihr mit Respekt begegnet, und das trifft auf jede Pflanze zu, ist sie Heilerin, so wie alles und jeder auf der ganzen Welt. Ich liebe sie in diesem Moment so sehr und gebe mich ihr hin. So liege ich hier und tauche unter, vergesse die Zeit und lasse mich heilen.
Kurz schnappe ich über der Oberfläche nach Luft, habe Zweifel: was, wenn jemand kommt? Das Flöten hat aufgehört, ich sehe mich um, Fabian ist weg, ich bin allein. War ich schon immer allein? Wenn jemand kommt… Es ist egal, ich kann sein, wer immer ich zu sein habe, die Nessel, der Grashüpfer, die Schlange, die ganze Welt kann sich in mir spiegeln und niemand hat das Recht mich dafür zu verurteilen. Ich muss mich nicht an Regeln halten, die mir sagen wollen, wer ich bin.

Realitätenweber

Die Welle ging so schnell wie sie gekommen war und wir saßen wieder nebeneinander, dort wo wir unsere Reise begonnen hatten, am Waldrand, der nun im Schatten lag. Die Sonne hatte eine Schattenlinie quer über die Lichtung geworfen. Wir tranken etwas Wasser und Fabian fragte:
„Warum eigentlich ‚auftauchen‘?“
„Für mich fühlt sich der Pilz an wie der Ritt auf Wellen. Sie kommen und gehen und man kann sie so akzeptieren, wie sie kommen, mit ihnen tauchen und darauf vertrauen nicht zu ertrinken. Ich glaube das Meistern der Psychonautik ist das Meistern des Wellenritts, zumindest was Mama Psilo angeht. Und jetzt gerade sind wir aufgetaucht. Das heißt aber nicht, dass wir nicht wieder untertauchen können – wenn wir das wollen.“
„Das ist ein schönes Bild.“
Fabian schloss wieder die Augen und ich tat es ihm nach. Noch einmal versuchten wir mit der nächsten Welle mitzuschwimmen, in sie einzutauchen. Der Höhepunkt war vorbei, das wusste ich zwar, aber ich wusste auch, dass das nicht so einfach zu sagen war. Die Qualität der Wellen war so unterschiedlich. Ein Pilztrip ist, wenn man ihn richtig schwimmt, nicht nur ein einziger Trip, sondern viele einzelne. Eine Kaskade an Erfahrungen, ein Prozess mit mehreren Stufen, wenn es gut läuft.

Ich rasselte. Und plötzlich war da die Rolle des Heilers, die ich zuvor vergeblich gesucht hatte und die ich mich nicht getraut hatte anzunehmen. Ich sah die Energiefäden um Fabian herum, die Schlieren und die Informationen, die von einer weit entfernten Welt kamen und ich rasselte an den Stellen, die Frequenz benötigten um zu transformieren. Ich hatte das so oft schon gemacht, in meiner Ausbildung, doch meistens war das alles für mich nur Esoterik gewesen. Echte Heilung war kein Pendeln über dem Herzchakra. Es war das Verschmelzen mit der Welt, das Eintauchen in die Frequenzen des Lebens, das Aufdröseln allen Seins und das Neuordnen der Energiefäden, die alles zusammenhielten. Realitätenweben.

Ich stand auf, tanzte über die Lichtung und rasselte, rief irgendetwas an, einen mächtigen Geist, und fühlte mich in diesem Moment wie ein großer Lehrmeister. Ich setzte mich auf der anderen Seite der Lichtung gegenüber von Fabian , der in sich versunken war und im Schatten saß, in die Sonne. Zwischen uns die Schattenlinie. Und während ich rasselte, mit vier Rasseln gleichzeitig, und den großen Geist heraufbeschwor, fühlte ich, wie die Erde zu rumoren begann und ich betete sie an:
„Verschling ihn, verleib ihn dir ein, zerkau ihn, spuck ihn wieder aus! Nimm von ihm, was er ertragen kann!“
Ich fühlte, dass da etwas war, was von ihm genommen werden sollte, mit aller Kraft und doch in absoluter Sicherheit.

Wächter des Waldes, ein weiteres Mal

Fabian war in den Wald gegangen. Die Wellen wurden schwächer und ich fühlte, dass der Trip dem Ende entgegenging. Ich nahm meine Flöte, lief über die Lichtung und spielte. Da flatterte der Eichelhäher ein paar Meter vor mir auf die Lichtung und fraß die Körner, die wir ihm zuvor weggegessen hatten. Ich spielte weiter, ganz neue Töne. Die Flöte machte nicht, was ich wollte. Ein hoher Ton, die falsche Oktave, doch ich hatte das Gefühl, ich würde für den Häher spielen, mit ihm reden, mich entschuldigen. Jetzt war ich der Wächter des Waldes und er tanzte für mich.
Ich lief durch den Wald, durch das Moos, sah von weitem Fabian irgendwo zwischen den Bäumen, hatte das Gefühl aus der Ferne über ihn zu wachen. Ich war so zufrieden in meiner Rolle als Schamane, als Heiler, als Tripbegleiter und jetzt auch als Wächter des Waldes. Selten in meinem Leben hatte sich alles Sein so stimmig in seiner Kombination angefühlt.

Ausklang

Noch immer war ich nicht vollkommen zurück, doch wir waren schon auf dem Weg nach Hause, über den Kiesweg, in eine untergehende Sonne hinein. Der Weg war lang und ich war fasziniert davon, wie sich die Einzelheiten der Welt immerzu perfekt zu einem stimmigen Bild zusammenfügten. Der Radfahrer, der uns überholte, der Bussard, der über die Bäume kreiste, der Wind in den Gräsern am Wegesrand, der Staub auf meinen nackten Füßen – es war Kunst in Reinform.
„Es macht mich so traurig… zu wissen, dass die meisten Menschen diese Art der Verbundenheit mit der Welt nicht kennen. Niemals erleben werden.“
Fabian stimmte mir zu, er hatte sie auch gefühlt und ich war wieder fasziniert davon, dass es doch etwas gab, was einen Pilztrip objektiv beschreiben konnte: Das Gefühl mit allem verbunden zu sein, die Ich-Auflösung, das All-Eins-Sein. Ich wünschte den Menschen diese Erfahrung in diesem Moment so sehr, ihnen allen, dass ich ein weiteres Mal weinen musste.

Wir bogen noch ein mal in den Wald ab, folgten einem Pfad aus entwurzelten Bäumen, ich ließ mich einfach von Fabian führen, bis wir an einen Platz kamen, wo wir uns im Licht des Sonnenuntergangs noch einmal niederließen und über unsere Erfahrungen sprachen und Birkenblätter aßen.

Ausgleich der Schwere, Wasser und Feuer

Wir liefen noch ein gutes Stück durch die Dämmerung und beschlossen, spontan, noch am Fluss vorbeizuschauen. Am Ufer angekommen, wurde uns die Idylle der Situation bewusst. Ein sternenklarer Sommerhimmel, der Sichelmond hoch stehend, jetzt nicht mehr spiegelverkehrt, auf der anderen Seite des Ufers zwei Feuer im Abstand von etwa hundert Metern, Jugendliche, vermutlich nur am Feiern, trotzdem ein Beltanefeuer unterhaltend.
Wir wateten ins Wasser. Es war kalt aber es schien etwas abzuwaschen, eine Art von Schwere zu nehmen, die sich im Wald aufgebaut hatte. Es war der pure Ausgleich, wundervoll.
Über uns tanzten die Fledermäuse und sie im Dämmerlicht zu beobachten war wunderschön. Sie tanzten nur für uns, glaubte ich, manifestierten noch einmal unsere Verbindung mit allem.
Auch wir entschieden uns ein kleines Feuer zu entfachen, als letzte Abrundung dieser Erfahrung, ein klassisches Maifeuer, um den Frühling und die Liebe zu empfangen.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich nicht im Ansatz so einen perfekt abgestimmten und wundervollen Trip erwartet hatte. Fabian versuchte mir zu erklären, was er erwartet hatte und wie sehr er überrascht wurde. Der Pilz führt uns nicht einfach in einen anderen Bewusstseinszustand und lässt uns eine gute Zeit haben. Er fordert uns heraus, lässt uns auf die Welt reagieren und spiegelt in ihr unser Innerstes. Ich halte ihn für eines der mächtigsten Heilwesen der gesamten Welt und merkte bei diesem Trip wieder, dass ich mit jedem Mal tiefer gehen kann, besser mitspielen und die Wellen reiten kann, es lerne hinabzutauchen, es anzunehmen und auch daran zu zerbrechen, was immer die Welt eben von mir will. Wenn ich diesen Trip mit meinem ersten vergleiche, muss ich lachen, wie unwissend, klein und ohne Kontrolle ich damals war und wie sehr ich mittlerweile mit dem Pilz befreundet bin. Und wie sehr ich ihn liebe.
Ihn und seine majestätische Verrücktheit.



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