Meine Freundin Ila war schon manchmal etwas merkwürdig. Einerseits gab sie sich immer sehr aufgeschlossen, sowohl spirituell als auch dem Eins-Sein der Welt gegenüber, auf der anderen Seite war sie dann jedoch immer wieder so stark in ihrer eigenen kleinen Welt und Energielosigkeit gefangen, dass sie einfach nichts anderes als ihre Wahrnehmung sehen konnte. Teilweise war das sehr anstrengend, denn es wirkte kalt, egoistisch und verblendet. Wie konnte jemand, der sich selbst als vegan, aufgeschlossen, spirituell, sowie als Yogini bezeichnete, so desinteressiert an den Welten der anderen Menschen sein?
Hin und wieder, alle paar Monate meldete sie sich bei mir, meistens weil gerade etwas einschneidendes bei ihr passiert war und meistens mit dem Wunsch dieses Thema zu erforschen, vorzugsweise mit psychoaktiver Hilfe.
Ich erinnerte mich amüsiert an unsere Streits, die wir vor 10 Jahren öfter mal hatten, wenn es um das Thema Drogen ging. Was war sie prüde, unaufgeschlossen und unverständig diesbezüglich gewesen. Der kleinste Joint war für sie ein Teufelswerk gewesen. Amüsiert dachte ich deswegen daran zurück, weil sie diejenige war, die mich eines Tages in ihrem Wunsch die Anderswelt zu erfahren überflügeln wollte.
Wir saßen gemeinsam am Fluss und sie sagte mir, dass sie vorhatte Ayahuasca zu probieren und wollte wissen, was ich davon hielte. Ich schüttelte den Kopf. Talgo Ree, der mit uns am Fluss saß und stumm auf die Wasseroberfläche sah, stieß ein spöttisches Lachen aus.
Ila, niemals gekifft, Verfechterin des klaren Bewusstseinszustandes, keine Erfahrung mit schamanischen Reisen, niemals Mama Psilo getroffen, niemals mit Mama Pacha in Dialog getreten, Scheuklappen auf den Augen, wollte Mama Aya treffen? Die Mutter des großen Spirits?
Ich hatte ihr das natürlich nicht so deutlich gesagt, aber es war einfach nur vermessen und in gewisser Weise lächerlich.
Ich glaube sie nahm meine Warnung ernst, denn das Treffen zwischen ihr und Mama Aya fand nicht statt.
Die Gespräche, die wir führten, wenn sie sich dann meldete, drehten sich immer wieder um das gleiche: Sie wollte endlich Mama Psilo treffen. Hatte sie diesen Wunsch geäußert, war es vorbei. Das Gespräch. Unsere Begegnung. Nur noch ein Echo. Es war, als würde es ihr reichen diesen Wunsch auszusprechen, dann war sie wieder weg.
Ich hatte mich damit abgefunden, auch wenn ich persönlich enttäuscht war, ging nie davon aus, dass wir diese Reise tatsächlich eines Tages gemeinsam antreten würden.
Als wir wieder am Fluss saßen, Monate später, da erzählte sie mir, dass sie den „heiligen Peter“ getroffen hatte, wie sie ihn immer selbst nannte. Der Name erschien mir unwürdig für eines der mächtigsten Wesen der Anderswelt, San Pedro, der Schlüssel zum Himmel, Mama Psilos großer Bruder. Weniger sanft als sie, ein brutaler Schläger auf seine Art, der Holzhammer unter den Entheogenen, so hatte ich zumindest über ihn gelesen.
Der Schamane, der mit ihr die Zeremonie durchgeführt hatte, hatte sich sehr an seine Familien-Tradition gehalten und dennoch erschien mir der Bericht unwirklich; viel Tabak, viele Menschen und keine klare Reise. Eine Eso-Veranstaltung. Ich selbst hatte den heiligen Peter noch nicht getroffen, er hatte mich noch nicht gerufen.
Talgo erklärte mir einmal, dass der heilige Peter nicht nur in seiner Kraft und Art anders sei als seine kleine Schwester. Er verändere sich auch sehr stark, je nachdem wie nah sich Mensch und Kaktus vor der Begegnung standen. Anders als der Pilz, der lediglich Fruchtkörper des Wesens war, war er der Kaktus selbst, das Wesen, sein Leben, das sich der Meskalin–Psychonaut einverleibte. Es war also hilfreich, wenn nicht gar notwendig, den Kaktus selbst aufzuziehen und ihn dann erst zu konsumieren, wenn er bereit war für dich und seine Botschaft zu sterben, ohne Zwang.
Warum ich diese Geschichte eigentlich erzähle? Es ist eine Morphogeschichte, die den heiligen Peter und meine Freundin Ila betrifft, kein Tripbericht, trotzdem, wie alles, was ich erzähle, nur eine Geschichte, bitte vergesst das niemals.
Ich stand in der Schlange an dessen Ende mir mein erster eigener San Pedro überreicht werden sollte. Noch nie hatte ich einen in den Händen gehalten, noch nie seine Energie gefühlt. Ich würde ihn lieben, aufziehen und mich mit ihm befreunden. Und wenn er es wollte, eines Tages, mit ihm in seine Welt reisen, den Schlüssel zum Himmel geschenkt bekommen, hoffentlich.
Ich betrachtete die Menschen in der Schlange vor mir. Jeder von ihnen hatte einen anderen Grund hier zu stehen, auf ein Geschenk der Welt zu warten.
Da sah ich sie: Ila stand in der Schlange vor mir! Was für ein Zufall, ausgerechnet Ila, der einzige Mensch, den ich kannte, der den heiligen Peter bisher getroffen hatte, und das auch noch in diesem Moment, kurz vor meinem ersten Kontakt mit ihm.
Ich wollte ihren Namen rufen, grinste sie an, doch sie erkannte mich nicht. Bevor ich etwas sagen konnte, erkannte ich, dass sie es nicht war. Zumindest nicht die Ila der Gegenwart. Es war die junge Ila, von vor 10 Jahren.
Wie absurd, dachte ich mir, sie würde gar nicht verstehen, was ich hier tat, mir wieder Vorträge halten, wie schlecht und zerstörerisch Drogen seien.
Talgo, der mit mir anstand, stupste mich an und sagte:
„Interessant, oder? Damals hätte sie wohl nicht im Traum daran gedacht, dass sie solch ein mächtiges Wesen noch vor dir treffen würde. Warum ist sie wohl hier?“
„Ich denke“, begann ich gedankenverloren und hielt meinen Blick auf die junge Ila geheftet, „sie möchte zurück in diese Zeit, das war ihr Grund Peters Rat zu suchen. Zurück in die Zeit ihrer Kindheit, etwas aufarbeiten, was dort passiert ist und es ist bestimmt kein Zufall, dass sie sich dafür so ein mächtiges, männliches Wesen ausgesucht hat. Abgewandt von unseren Müttern, einem Vater, Taita Pedro zugewandt.“
Talgo nickte. Er stellte mir normalerweise keine Fragen, die er nicht sowieso schon selbst beantworten konnte.
Ich fragte ihn: „Denkst du, der Schlüssel, den ich gleich bekommen werden, ist für sie und mich? Oder nur für sie? Unsere Reise dorthin, wo sie hinmöchte? Ich als ihr Führer, ihr Schamane…“
Talgo zuckte mit den Schultern und ich verstand seine Antwort. Es war ihr egal, sie war so oder so nicht bereit und wenn sie weiter immer nur eine Lichtreflexion in sporadisch auftretenden Pfützen am Rande meines Gesichtsfeld bleiben würde, würde dieses Vorhaben sowieso scheitern.
Zuhause angekommen, den kleinen San Pedro vor mir auf dem Tisch stehend, schrieb ich Ila eine Nachricht und erzählte ihr davon. Sie griff von sich aus meinen Gedanken beim Anstehen auf und fragte, ob sie dabei sein dürfe, wenn die Zeit reif war. Ich blieb verhalten, eher ablehnend, ich weiß gar nicht genau warum, vermutlich weil ich Angst hatte, jemanden auf solch einer wichtigen Reise an meiner Seite zu haben, vielleicht weil ich zweifelte, weil ich sie sowieso schon wieder entschwinden sah.
Und dann war sie auch schon wieder fort. Wie so oft. Antwortete nicht mehr auf meine Fragen. Wie ein Blatt im Wind war sie längst wieder woanders. Bis sie in einige Monaten einen Traum haben würde, den sie mir gegenüber andeuten, aber nie genauer ausführen würde.
(Unus, März 2017)