Ich bin nur ich und meine Füße | Psychonautik 4


Der vorliegende Text ist ein ‚fiktiver‘ Tripbericht, Prosa, geschrieben von Unus. Eine Erklärung zu diesen Texten und dem Autor gibt es hier. Das Titelbild ist (natürlich) nur ein Symbolbild (Ganz offensichtlich falscher Pilz).


Auf der Lichtung

Ich saß auf der Lichtung und rasselte, während neben mir ein Scheit Palo Santo qualmte. Der Wind hatte mich hergeführt an diesem Tag. Er trug den Ruf der Welt mit sich. Er war so viel mehr als nur Transformation. Er war Information, Wissen, Erfahrung, Begegnung.
Das Feuer ist Transformation durch Verformung, Zerstörung, Neugestaltung.
Das Wasser ist Transformation durch Heilung, Reinigung, Erschütterung.
Die Erde ist Transformation durch Ruhe, Frieden, Vergessen.
Der Wind flüsterte mir zu, dass ich hier zu warten hatte, auf die rechte Hand des großen Spirits, auf das mächtige Wesen, das auf den Namen Mama Psilo hörte, die Herrscherin der Welt zwischen Traum und Wirklichkeit.
Meine Augen waren geschlossen und ich hörte die perfekte Kombination aus meinen Rasseln und dem Raunen des Windes, und als ich sie wieder öffnete und das künstliche Geräusch der Rasseln stoppte, sah ich vor mir auf der Wiese einen Pilz wachsen. Mit Eleganz und Leichtigkeit grub er sich aus der Erde, schob das Laub zur Seite, unscheinbar, ockerfarben. Ich erkannte ihn: Psilocybe Atlantis.
Mama Psilo, sie war gekommen, wie versprochen.

Mama Psilo nahm mich bei der Hand und führte mich sanft in ihren Traum. Meine Wirklichkeit verschwamm und ich begann ihre Wirklichkeit zu erträumen.
Die Welt zerfiel in ihre nächsttiefere Struktur. Ein Wabenmuster legte sich über alles, die Wiese, die Bäume, den Himmel, und ich konnte nicht anders als hindurchzustarren, fasziniert, aber auch resigniert. Es waren nur Texturen. Die Welt bestand nur aus Texturen, nur Illusion, nur rekursive Algorithmen, ein endloses Fraktal, die Wirklichkeit nur ein Fortsatz der Mandelbrotmenge aus dem Traum dieses mächtigen Wesens. Technisch. Kalt. Leer.

Ich erschrak. Wo war Mama Psilo? Du bist nicht Mama Psilo! Du bist etwas künstliches, technisches! Etwas anderes, ein dunkles Wesen aus ihren Träumen, ich konnte ihre Schreie hören, sie litt, sie wollte erwachen, ihren Traum in meine Wirklichkeit tragen.
Mama Psilo: Ich bin hier, ich bin echt, das technische bist du. Du bist ein Roboter. Du siehst die Dunkelheit nicht. Die Krankheit. Stell die richtige Frage, dann gibt mein Traum dir die Antwort.
Ich bekam Angst, Panik stieg in mir auf. Ich war so überzeugt davon, dass hier etwas falsch war. Nicht ins Bild passte. Ich das falsche Wesen beschworen hatte. Einen Dämon, der aus meinem Herzen kam.
Ich starrte auf die Bäume vor mir. Zwei große Nadelbäume, wie zwei Wächter zu den Seiten einer Pforte. Ihre Speere kreuzten sich in der Mitte des Portals, den Durchgang verwehrend, jedem wachen Wesen. Sie waren stumm und still, doch sie atmeten. Ich sah ihre Speere wippen, auf und ab, nicht im Wind, sondern dahinter. Bewegung hinter dem Schleier der Welt. Über ihnen die Waben der Illusion. Und je länger ich auf ihr helles, frühlingshaftes Grün starrte, desto mehr wurde die ganze Welt in eine dunkle, grüne, dreieckige Textur gehüllt.

Die Angst ebbte ab, wie alles in Mama Psilos Welt in Wellenform existierte, pulsierend, atmend, auf und ab, und ich legte mich auf den Rücken und sah den Wolken zu. Wie sie hinter der Schicht aus Waben über die Welt flogen. Regenbogenfarben splitterten von ihren Kanten. Sie waren verpixelt, verschwommen. Das Wabenmuster war anders dort oben. Es war wie eine Kuppel, die sich über die Welt spannte, mit Symbolen auf der Innenseite. Ich erkannte einige davon wieder, der Jaguar, der Pilz, Teonanacatl, Kulkulkan, toltekische und aztekische Schriftzeichen, henochische Symbole, die Prophezeiung der Maya, geometrische Formen, alles in buntes Licht getaucht.
Ich fror. Der Wind war kalt. Der Traum zog das Leben aus meinem Körper. Der Körper war unwichtig und meine Hände und Füße waren kalt und starr wie Eis, während ich da in den Himmel starrte und schlotterte. Ich klapperte mit den Zähnen, demonstrativ.
Die Symbole am Himmel machten mich traurig. War alles falsch? Alles nur Illusion? Was hatte das Leben für eine Bedeutung, wenn es nur vom großen Spirit erträumt war? Wenn nichts von dem, womit wir uns tagtäglich herumschlugen wirklich echt war? Nur eine Projektion, gespiegelt im Wasser, im Wind verweht. Was war unser Leben wert? Was waren unsere Werte wert? Geld, Macht, Besitz, Moral. Ballast, Stress, nichts weiter als erträumtes Leid.

Der König der Krankheit

Ich stand auf, lief auf der Lichtung herum. Sah die Spinnen über den Boden huschen, sah sie atmen, sich verformen, ihre dürren Finger immer länger werden, nach mir greifen. Die hageren Finger der Panik, die ich schon kannte. Was liegt dort hinter den Waben, hinter der Pforte zum Traum?
Angst, Panik. Krankheit. Tod.
Mama Psilo: Du bist ein Roboter. Stell die richtige Frage.
Bin ich krank? – Der Wind raunte unbefriedigt, die Baumwächter wippten sacht ihre Speere.
Habe ich Krebs? – Die schwarzen Spinnen zu meinen Füßen versuchten nach mir zu greifen, ihre langen Spinnenbeine waren nun mehr als das: dunkle Tentakel aus einer tödlichen Energie.
Bin ich Krebs? – Der Wind schrie auf. Es war die richtige Frage. Leben und Tod, keine Bedeutung im Traum. Der Traum war jenseits des Lebens.
Bin ich bereits tot?

Ich stand vor den Wächtern und starrte minutenlang auf die Stelle, an der sich ihre Speere kreuzten. Die Pforte war dunkel, hinter ihr lauerte der Tod, der Krebs, die dunkle Materie, die Krankheit, der Tod, immer wieder der Tod.

Die Panik ergriff mich erneut, die nächste Welle rollte auf mich zu und ich wusste, ich musste hier weg.
Du bist nicht Mama Psilo! Du bist etwas dunkles, etwas anderes, etwas, was mir schaden will!
Der Wind heulte erbost auf, als ich meine Sachen zusammenpackte, hektisch, als würde jeden Moment die Welt, die Glaskuppel über der Welt zusammenbrechen, im dunklen Traum verschwinden.
Ich muss fort, ich muss weg, ich muss nach Hause, endlich nach Hause…
Ich setzte meinen Rucksack auf, ging zu meinem Rad und wollte weg, so schnell wie möglich.
Mama Psilo: Willst du davonlaufen? Vor dir selbst? Vor dem Tod?
Ich hielt inne. Und weinte. Wozu war ich hier? Nein, ich wollte nicht davonlaufen.
Was ist deine Botschaft, Mama?
Mama Psilo: Komm zu mir und stell die richtigen Fragen.

Ich stand wieder vor den Baum-Wächtern und starrte minutenlang auf die Stelle, an der sich ihre Speere kreuzten. Die Pforte war dunkel, hinter ihr lauerte der Tod, der Krebs, die dunkle Materie, die Krankheit, der Tod, immer wieder der Tod. Ich war jetzt kein Tourist mehr, ich hatte meinen Rucksack auf, der Lichtung den Rücken zugewandt. War jetzt ein Wanderer zwischen den Welten.
Zwischen mir und den Wächtern war hohes Gras. Es war voller schwarzer Spinnen. Voller Krebs. Voller Tod.
Die ganze Lichtung war dunkel geworden, der Wind peitschte ungeduldig und die Sonne war hinter den Wolken verschwunden. Ich fror und hatte Angst, doch es gab jetzt nur diesen einen Weg, um nach Hause zu finden.

Die Wächter öffneten mir bereitwillig den Weg und stöhnten auf, als ich die Pforte durchschritt. Mit einem Mal wurde die ganze Welt zur Nacht. Die beiden prächtigen, großen, grünen Wächter machten Platz für ein weites Feld toter Bäume, Gerippe, eingesponnen in die klebrigen Fäden des Todes. Doch ich hatte mit einem Mal keine Angst mehr.

Im Wald des Todes

Ich starrte dem Tod ins Gesicht, sah seine eingefallenen, knochigen Augenhöhlen, seine langen, spinnenbeinartigen Gliedmaßen. Sie sponnen immer weiter und weiter alle Bäume ein. Ich griff in die klebrige Masse, fühlte sie auf meiner Haut, und fühlte zu meiner Überraschung das Leben.
Plötzlich sah ich es: überall waren Vögel, Fliegen, Mücken, Spinnen, Käfer, überall raschelte es, der Wind raunte, der Krebs war nicht hier, der Tod war nicht hier, es war nur sein Abbild inmitten des Auf-und-Abs des Lebens, seine Präsenz war Teil des Lebens.
Ich fühlte mein Solar-Plexus immer stärker. Was bisher nur als Ahnung in meiner Magengrube existiert hatte, wurde zu einer unumstößlichen Gewissheit, eine Erkenntnis, doch noch konnte ich sie nicht aussprechen.
Endlos lief ich zwischen den tot-lebendigen Baumgerippen hindurch, immer tiefer in das Dickicht des Waldes und es wurde immer heller. Die Sonne kam zurück, zauberte glitzernde Farben auf die Spinnfäden zwischen den Bäumen. Es war märchenhaft, traumhaft und ich erkannte ein weiteres Mal die sich immer wieder wiederholende Struktur des Seins, des Lebens in den einzelnen Bausteinen. Gefangen in den Mustern des endlosen Fraktals. Lange starrte ich sie an, verfolgte ihr Glitzern, bis ich meine Reise fortsetzte, weg von den Gerippen.

Im Wald des Lebens

Sonne, Moos, wunderschöne lebendige Bäume, dicht an dicht. Plötzlich waren all das Leid, die Resignation und die Dunkelheit wie weggewischt. Alles bestand nur noch aus Leben und ich sah und hörte es überall. Ein paar Meter neben mir rannten zwei kleine Füchse aus dem Dickicht und spielten miteinander. Sie waren wunderschön. Auf meiner anderen Seite ertönte ein Flügelschlag und ein riesiger Greifvogel, der Bussard, schwang sich aus der Krone eines Baumes und glitt geschmeidig und trotz seiner gewaltiger Flügelspannweite zwischen den Bäumen hindurch. Er war wunderschön. Wieder kamen die Füchse und rannten den Weg zurück, von dem sie zuvor gekommen waren. Ich hörte einen jaulenden Laut und staunte. Über mir sah ich einen Buchfinken und eine Kohlmeise, wie sie mich im Duett ansangen und mit jeder Sekunde wurde das Leben um mich herum mehr und mehr und deutlicher als jemals zuvor. So oft war ich schon im Wald gewesen, doch nie hatte ich so viele Wesen auf einmal erkannt.

Ich hörte den Wind ankommen und ich fühlte dass es jetzt an der Zeit war, sich einzugestehen, was da in meinem Magen rumorte, was mein Solar-Plexus andrehte und beinahe durchdrehen lies, was mir in diesem Moment die Tränen in die Augen trieb und was mir klarmachen sollte, was es war, was hinter den Waben der Welt, hinter den Texturen der Oberfläche verborgen lag.
Der Wind war eher eine Sturmböe, bog die Bäume um mich herum und rauschte lauter als das Meer bei Wellengang. Mama Psilo erwartete die Antwort auf die Frage, die ich mir selbst gestellt hatte:
Ich bin verliebt in dich. Ich bin verliebt in die Welt, in die Bäume, in die Füchse, in die Vögel, in den Bussard, in das Moos, in den Wind. So verliebt, dass ich mich mit allem vereinigen möchte, mit allem Leben eins sein möchte, ich selbst sein möchte, mit dir, der Welt, an meiner Seite.
Ich bin so verliebt in die Welt, dass ich vor Glück und Schmerz weine, gleichzeitig.

Ich habe mich verlaufen, bitte bring mich heim

Ich laufe durch das Moos, fühle mich abgetrennt, möchte der Welt noch viel näher sein.
ich ziehe meine Schuhe aus, laufe barfuß über das Moos, durch den Schlamm, über die Erde, über Äste und liebe jeden Schritt, so nah, so stark verbunden mit meiner großen Liebe. Die mich heimführen wird. Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten, oder? Nein, ich bin ein kleiner Junge und ich habe mich im Wald verlaufen. Bitte, Mama Psilo, bring mich nach Hause, endlich nach Hause.
Ich lasse meine Schuhe zurück und laufe weiter.
Noch immer ist ein Teil von mir der Wanderer, der ich nicht sein kann, wenn ich nach Hause möchte.
Ich lasse meinen Rucksack zurück, befreie mich, und laufe weiter.
Mir ist kalt, ich habe Angst mich zu verirren. Habe ich mich nicht schon längst verirrt? Wie sollte ich jemals wieder zurück nach Hause finden?
Ich ziehe meinen Pulli aus, hänge ihn an einen Baum und laufe weiter, barfuß zwischen den Bäumen.
Ich bin nur ich. Und meine Füße. Ich bin nur ich und meine Füße. Ich bin nur ich und meine Füße. Schritt für Schritt verirre ich mich weiter im Wald, doch es ist egal, denn ich bin nur ich und meine Füße. Ich bin nur ich und meine…? Sind es denn meine? Sind sie Teil von mir oder ergänzen sie mich? Ich bin nur ich, auch ohne meine Füße.
Ich laufe durch Schlamm, sehe einen Stein in der Erde, klein, weiß, voller Dreck und Erde, voller Leben. Ohne es zu verstehen, stecke ich ihn mir in den Mund. Barfuß laufe ich weiter, durch den Schlamm, meine Füße werden dreckig, es ist egal, es hat keine Bedeutung, es verblasst im Licht der allgegenwärtigen Liebe. Ich liebe es, den Stein im Mund und den Schlamm unter meinen Füßen zu fühlen. Erde in mir, Erde um mich herum.
Ich spucke den Stein aus, er sieht aus wie ein Zahn. Ist es mein eigener Zahn?

Ich habe mich verirrt. Alle Richtungen sehen gleich aus. Jeder Baum sieht gleich aus. Wo ist mein Pulli? Wo ist mein Rucksack? Wo sind meine Schuhe? Wo ist die Lichtung? Wo ist mein Fahrrad?
Mama Psilo, ich habe mich verlaufen, bitte bring mich heim.
Ich blicke in die Baumkronen, streiche über die Rinde der Bäume. Wo möchte ich hin, wo bin ich daheim?
Mama Psilo: Wovor hast du Angst? Du bist längst daheim, ich habe dich nach Hause geführt, hier gehörst du hin. Zu uns.
Ich weine. In diesem Moment bin ich kein Wasserschamane, kein Ertrunkener, kein Feuerschamane, nicht die Verbrannte, bin kein Wanderer, kein Durchquerer der Wüste, kein Berggeist, kein Seefahrer, kein Feuerbändiger, kein Adler, kein Drache, kein Golem, kein Erdenwächter. Ich bin ein Waldschrat. Ich bin ein Waldschamane. Ich bin ein Wesen des Waldes.
Ich lasse mich zu Boden fallen, endlich, nach so langer Zeit, und das Moos verleibt sich mich ein. Ich hatte solche Angst, die ganze Zeit, die wir hier durch das Moos liefen, ich und meine Füße, mich endlich fallenzulassen.
Ich bin endlich ein Waldwesen, liege im Moos, krieche durchs Moos, schmecke die Erde und rieche das Holz. Vor mir kommt eine Maus aus ihrem Bau und schaut mich an. Ich grinse sie an. Ich liebe sie und sie liebt mich. Ich gehöre zu ihr. Wir gehören beide dir, Mama Psilo.

Ich schlafe ein, ganz kurz nur, wie schon so oft an diesem Nachmittag, immer wenn sich mein Kopf nicht entscheiden kann, ob ich wache oder schlafe, denke oder träume. In Wellen wechselt sich der eine Bewusstseinszustand mit dem anderen ab. Und ich begreife immer besser, wer oder was Mama Psilo ist; mein Körper ist wach, mein Kopf so nah am Schlaf. Und dazwischen existiert die Welt. Wir erträumen uns unsere Wirklichkeit und denken unsere Gedanken. Und vergessen unsere Gefühle. Dass sie aus einem weit entfernten Traum entstammen und unsere Wahrnehmung manifestieren. Die Welt ist nur ein Abziehbild unserer Herzen. Und unsere Herzen sind nur erträumt. Und unsere Träume sind nur Liebe. Und unsere Liebe ist das All-Eins-Sein, die Schwingung, die die Welt im Innersten zusammenhält.
Meine Existenz ist in diesem Moment nur noch Liebe und Tränen und Illusion.
Ich bin nicht ich und auch nicht meine Füße mehr.

Ich bin nur ich und mein Ballast

Ich habe den Wald verlassen. Ich habe nach Hause gefunden und bin endlich angekommen. Jetzt bin ich wieder der Wanderer zwischen den Welten, nicht mehr das verirrte Kind. Ich habe meine Schuhe wieder an und sie fühlen sich so fremd an. Mit Schuhen durch den Wald zu laufen erscheint mir so absurd, so weit entfernt, so abgetrennt von meiner wahren Liebe. Ich habe meinen Rucksack wieder auf und ich sitze auf meinem Rad.
Aus der Leere im Traum, der Unendlichkeit des Fraktals aus Liebe und Geborgenheit entstand mein Ego neu. Ich war wieder da, wieder in der Wirklichkeit und aus meinen Füßen wurde mein Rad.
Ich flog dahin, 20kmh, 30kmh, 40kmh. Die Welt um mich herum verschwamm erneut, im Rausch der Geschwindigkeit. Und neben mir zogen die Füchse, Rehe, Vögel, Mäuse und Bussarde als Schlieren am Rande der Wirklichkeit vorbei, versteckt hinter den Waben der Welt, verschanzt hinter der Pforte der Wächter. Mein Zuhause, ich verließ es ohne Gram.
Nun, nachdem ich Zuhause angekommen war, rief mich etwas altes zurück. Die Dunkelheit und das Wasser. Nach der Heimkehr kommt die Heilung.

Ich kam durch belebte Gebiete. Und plötzlich war es mir so peinlich, dass mein Rad so laut war, so viel Geräusch machte. Überall um mich herum war Lärm. Die Menschen schrien. In ihr Telefon. Sich an. Nach ihrem Hund. Ich war längst nicht mehr nur ich und meine Füße. Ich war wie sie alle um mich herum: ich und mein Lärm. Ich und mein Müll. Ich und mein Ballast.

Ich fuhr und fuhr. 10km, 20km. Und erreichte den Fluss. Die Nacht brach an und als ich in der Dunkelheit unter den Sternen und dem Halbmond auf der Brücke über dem Fluss stand, plötzlich, so weit weg vom Wald, hörte ich wieder den Wind flüstern, mich beglückwünschend, ein echter Wanderer zwischen den Welten zu sein. Mama Psilo war fort, nur noch ein Echo. Sie sprach nicht mehr zu mir, hatte mir alles gesagt, wofür ich sie getroffen hatte, mich nach Hause geführt und mir zum Abschied zugeraunt, dass ich öfter mal zurückblicken sollte, den Weg meiner Herkunft wieder gehen sollte, zurückkehren sollte.
Ich lauschte dem Heulen des Windes in der Brückenkonstruktion. Ich war alleine hier, doch ich hörte die Kinder schreien, die unter der Brücke spielten. Irgendwo am Ufer brannte ein Feuer und sie lachten. Es war das Sample des Kinderlachens, das ich schon einmal gehört hatte. Immer wieder der gleiche Ton.
Ich will zur Schaukel! Ich will der erste sein, der schaukelt! Schau mal, ich begehe Selbstmord! Ich ertrinke!
Lachen. Spiel. Tod. Illusion.
Ich fuhr weiter. Am Ufer entlang durch die Dunkelheit, immer weiter, die Venus im Blick, den Halbmond im Blick, so viele Sterne. Nur ich und mein Fahrrad unter ihnen.

Nach einiger Zeit ging ich ans Ufer, ich war allein, es war warm, es war hell. Der Halbmond warf einen fahlen Schatten auf das ausgetrocknete Kiesbett. Die Stromschnellen zogen mich an. War ich gerade noch im Wald gestanden, barfuß auf Moos, nur ich und meine Füße, angekommen, heimgekommen, dem Krebs entkommen, dem Tod entkommen, ein Waldwesen im Schlamm gewesen? Und nun 20km entfernt am Wasser? Das Wasser war etwas, was mir Heilung und Verständnis und Frieden versprach, was mich magisch anzog. Mama Psilo war fort, doch sie war trotzdem um mich herum, in den Reigen all der anderen: Mama Kilja: Großmutter Mond, Mama Sacha: die große Mutterschlange, Mama Aya: die Mutter des großen Spirits, Mama Pacha: allgegenwärtige Mutter Erde. Alle meine Mütter.
Ich starrte den Mond an, war immer noch verliebt, während ich auf den Steinen saß. Zog meine Schuhe aus und lief barfuß über die kalten Steine und schließlich in das kalte, klare Wasser des Flusses.
Irgendwo da hinten brannte ein Feuer. Und irgendwo in der anderen Richtung lag die Stadt mit all ihren Menschen, die dort Zuhause waren.
Aber ich war nur ich.
Ich und meine Füße.



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