Der nepalesische Tempel | Psychonautik


Talgo Ree reichte mir ein Glas warmer Milch und auf meinen fragenden Blick hin zwinkerte er mir nur zu. Mir war nicht klar, was er mir da untergemischt hatte, doch in den meisten Fällen sollte ich mir ob seines Sachverstands keine Gedanken machen – normalerweise wusste er über die Dosierungen Bescheid. Aus seinem Blick las ich jedoch, dass es sich um ein Experiment handelte, etwas synthetisches, vollkommen legales und vermutlich etwas kurzes. Das war gut, denn ich hatte am Abend noch Pläne, wollte mich noch mit Freunden treffen. Ich sah auf meine Uhr – es war erst Mittag, also würde das alles kein Thema sein. Ich trank also die Milch und schmeckte die kräuterige Note. Es war bitter und herb. Und ich glaubte nicht an eine große Wirkung.

Ursprünglich war eine spirituelle Erfahrung für diesen Nachmittag geplant. Ich hatte vor, in den Wald zu gehen, auf einer Wiese und/oder einer Lichtung zu sitzen und mit den Steinen zu philosophieren. Doch aufgrund meiner Erfahrung mit der Länge einer solchen Meditation und der aktuellen – sehr kühlen – Wetterlage, entschied ich mich dagegen.

Sehr schnell fühlte ich einen leichten Nebel im Kopf und merkte wie es mir schwerfiel dem Let’s Play – Gronkh spielte ‚Fran Bow‘, die letzte Episode – zu folgen. Noch bevor die 20 Minuten dieser Folge vorbei waren, war es mir nicht mehr möglich auf dem Stuhl zu sitzen. Ich merkte den Anflug einer Zeitdehnung und wollte sie verstehen. Ich zündete ein paar Kerzen an, stellte sie auf den Boden und setzte mich davor. Ich fühlte den Schwindel. Und den Unterschied der Beschaffenheit der Welt, je nachdem, ob meine Augen geöffnet oder geschlossen waren.

Vor mir auf dem Boden breitete sich mein Zeichenblock aus, doch ich wollte nicht zeichnen. Ich wollte denken. Und verstehen. Also schrieb ich auf, was ich zu verstehen glaubte. Warum sich alles so gedehnt anfühlte, warum es sich so anfühlte, als würde sich ein und dasselbe Gefühl, ein und derselbe Gedanke immer wieder wiederholen. Wie in einer Schleife verging die Zeit, immer wieder verging die gleiche Sekunde, und ich versuchte es zu kontrollieren.

Doch die Kontrolle selbst hielt mich davon ab es zu kontrollieren. Immer wieder sank ich tiefer und mein Verstand holte mich wieder hoch. Immer, wenn ich die Augen schloss, verschwand alles – nicht nur das, was ich sah, sondern auch das, was ich wusste, woran ich mich erinnerte, was eben noch gewesen war. Und immer, wenn ich die Augen wieder öffnete, entstand alles aus dem Nicht erneut, musste neu begriffen werden, neu erfahren werden, neu erkannt werden.

Ich schrieb auf:

Die Verzerrung der Zeit
Nicht langsamer < > länger

KEINE Verzögerung der Synapsen
EINE Erhöhung (der Aktivität) –> Nein
der Integrität

Nicht im Gehirn
27 33 49

Geschichtete Zeit
Verdopplung der Zeit

Interframe < Keine Abspaltung – Keine Entflammung
Was ist mit meinem Herzen? Sehen und Nicht-Sehen verschwimmt
Ich schließe die Augen und habe es vergessen
–> LICHT –> DUNKEL
Hier und Nicht-Hier

Ich spüre die Kontrolle,
sie lässt sich manipulieren,
Sie sucht Licht und Dunkelheit
Ton und Nicht-Ton

(Die Bedeutung verschwindet)
Die Bedeutung verdoppelt sich

Sehr starke Verknüpfungen brechen auf. Löschen das Gedächtnis,
löschen dich und deine Stimme aus…

Dann war es zu stark und ich zu weit weg um noch einen klaren Gedanken zu fassen. Ich musste mich hinlegen. Der Schwindel war zu groß und ich war zu weit weg. Trotzdem war es mir noch möglich zu begreifen, wo ich bin und wie spät es ist. Doch ich konnte die Augen nicht mehr offenhalten – die Eindrücke waren zu stark. Alles wiederholte sich, endlos. Der Filter war gebrochen.

Doch jetzt fühlte ich die technische Kälte der Droge. Ihre Künstlichkeit. Ihre Virtualität. Da war kein Pflanzengeist, der mich in das Sein des Lebens blicken ließ. Da war nur der Gott der Dualität. Den ich kannte, von all den Erfahrungen, die schon mit solch technischen Drogen wie Lachgas, Diethylether und auch Ethanol gemacht hatte. Trotzdem war es eine Offenbarung. Doch sie kratzte nur an der Oberfläche einer wirklich spirituellen Erfahrung.

Die Kälte der Droge zwang mich in die Kälte eines luziden Traums. Alles drehte sich und ich drehte mich mit. Ich fühlte die aufkommende Panik, die die körperliche Lähmung hervorbrachte; würde ich mich jemals wieder bewegen können? Würde mein Herz aussetzen? Würde ich aufhören zu atmen? Und falls ja bzw. nein: würde mein Kopf wieder normal funktionieren? Würde der Filter wieder aufgebaut werden? Würde die geschichtete Zeit sich wieder entschichten? Würden die Echos aufhören?

Die Echos. Ich konzentrierte mich auf sie, während ich mich schneller als jemals zuvor rechtsherum drehte. Ich kannte die Drehung, aus der Meditation, sie war etwas Gutes, ich liebte sie. Und ich hörte Vogelgezwitscher von draußen. Und Kinderlachen. Doch immer wieder das gleiche Sample. Unzählige Male hörte ich den gleichen Vogelschrei, das gleiche Kinderlachen, die gleichen Stimmen, immer wieder. Und irgendwann wusste ich noch bevor der Vogel sang, was und wann und wie lang er singen würde. Das Muster wurde zur Zeitreise. Und ich bekam Angst. Diese Wahrnehmung war so mächtig, aber sie zwang mich in einen Bewusstseinszustand, der nicht alltagstauglich war. Was ich empfand, war ein übergeordnetes Wissen, ein Wissen, das aus einem Traum kam.

Ich konzentrierte mich auf das Drehen. Und ich überlegte, was die Wiederholung an sich in meinem Kopf machte. Was sie auslöste und ob sie gefährlich war. War das Lernen? Kognition? Konditionierung? Aufbauen von Verknüpfungen im neuronalen Netzwerk meines Gehirns? Oder meines Solar Plexus?

Ich drehte mich und wiederholte mich. Immer wieder. Während ich immer wieder das gleiche Kinderlachen und das gleiche Vogelgezwitscher hörte, zum gefühlt tausendsten Mal:

ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe mich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe uns ich liebe uns ich liebe uns ich liebe uns ich liebe die Welt ich liebe die Welt ich liebe die Welt ich liebe die Welt ich liebe die Welt ich liebe die Welt ich liebe die Sonne ich liebe die Sonne ich liebe die Sonne ich liebe die Sonne ich liebe die Sonne ich liebe das Licht ich liebe das Licht ich liebe das Licht ich liebe das Licht ich liebe das Licht ich liebe das Licht ich liebe das Licht

Ich schlief ein.

Zwei Stunden vergingen. Als ich wieder aufwachte, war noch immer alles verwackelt. Mir war schwindelig, mir war schlecht und so langsam war ich nicht mehr nur überrascht, dass der Trip immer noch so tief war, sondern auch ein wenig unzufrieden.

Meine Kehle war trocken, meine Lippen klebrig und mein Kopf fühlte sich überfordert von all den Dingen, die ich wahrnahm. Dabei lag ich nur auf dem Bett und starrte an die Decke. Oder hatte die Augen geschlossen. Ich trank Wasser. Sah auf die Uhr. Kontrollierte meinen Puls. Atmete flach. Eigentlich war alles gut.

Ich schlief weiter.

Ich erinnere mich nicht an meine Träume. Es war eher dunkel und leer, überall. Das Muster der Leere wiederholte sich. Wie das des singenden Vogels. Die Leere und der Vogel – sie hatten in meinen Träumen keine Unterschiede.

Das Treffen am Abend musste ich absagen. Der Trip war selbst nach 7 Stunden noch aktiv, auch wenn die letzten 3-4 Stunden nur noch körperlich waren. Mein Kopf war einfach sehr früh schon ausgestiegen. Die Art der Erfahrung war etwas zu viel für ihn. Außerdem glaubte ich, dass die Dosis etwas zu hoch war. Ich fragte Talgo, ob er sich vielleicht verschätzt hatte, doch er zuckte nur mit den Schultern.
„Ein bis drei Reiskörner?“ fragte ich ihn konkreter und bekam nur ein „Ups“ zu hören.

Mein Fazit:
Durchaus konnte ich etwas mitnehmen: ein diffuses Verständnis einer Verknüpfung zwischen Neuronen und quantenmechanischen Mechanismen. Doch von einer synthetischen Qualität, die mir zu wenig psychoaktiv und zu sehr physisch war. Außerdem hoffe ich auf eine kognitive Wirkung, die sich womöglich eher unterbewusst manifestieren wird. So schnell wird es davon jedoch keine Wiederholung geben.

(Unus, September 2015)


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